Auto und Klima
So bekommt die Autoindustrie die Kurve

Diesel-Skandal und E-Mobilität sind die aktuellen Herausforderungen der Autoindustrie. Viele Beschäftigte der Branche sorgen sich um ihre Zukunft. Die IG Metall hat einen Plan vorgelegt, wie die Automobilbranche die Herausforderungen als Chance nutzen und Arbeitsplätze sichern kann.

29. November 201629. 11. 2016


Stuttgart: Die Stadt gibt zum zweiten Mal in diesem Winter Feinstaubalarm; Pendler sollen ihre Autos zu Hause lassen. Peking: Die Umweltprobleme in den chinesischen Millionenstädten werden so bedrohlich für die Gesundheit der Menschen, dass die Regierung die Notbremse zieht. 2018 sollen acht Prozent aller neuen Autos elektrischen Antrieb haben, 2020 zwölf Prozent. Marrakesch: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks reist mit einem Klimaschutzplan zur Weltklimakonferenz, in dem steht, dass der Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid (CO2) bis 2050 um 80 bis 95 Prozent sinken soll. Auch der Verkehr soll seinen Beitrag leisten: 2030 sollen Autos 40 bis 42 Prozent weniger CO2 in die Atmosphäre pusten. – Das alles geschah vergangenen November.

Ende 2015 setzte sich die Weltgemeinschaft in Paris das Ziel, den Anstieg der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Prozent zu begrenzen, verglichen mit der Zeit vor der Industrialisierung. Vor allem die CO2-Emissionen sollen drastisch sinken. Politische Ambitionen und Vorgaben zwingen die Autoindustrie, sich diesen Herausforderungen zu stellen.


Es gibt einiges zu tun

Bisher hat der Verkehr die geringsten Erfolge vorzuweisen. Während die CO2-Emissionen in der Industrie zwischen 1990 und 2014 um über 36 Prozent zurückgingen, produzierten Fahrzeuge nur zwei Prozent weniger Klimagase. Zwar sind Pkws in den letzten Jahrzehnten viel energieeffizienter geworden, aber die Zunahme des Verkehrs macht diese Erfolge wieder zunichte. Zurzeit prägen das Image der deutschen Hersteller weniger Pionierleistungen in Umweltschutztechnologien als Software für Abgasmanipulationen. Die Dieselaffäre hat der Branche gewaltig geschadet. Aber durch sie hat auch die Debatte um Alternativen an Tempo gewonnen.

Für Wolfgang Nieke fährt der Zug eindeutig in diese Richtung: Der Wechsel beim Antrieb wird kommen, und zwar schneller als bisher angenommen. „So wie Fukushima die Energiewende beschleunigt hat, wird Dieselgate die Elektromobilität beschleunigen“, prophezeit der Betriebsratsvorsitzende von Daimler in Untertürkheim. Klimafreundlichen Autos gehört die Zukunft und in den nächsten Jahren entscheidet sich, ob sie an den Produktionsstandorten in Deutschland und Europa gebaut werden oder anderswo. Und vor allem ob die Arbeitsplätze hier bleiben. „Wenn statt BMW3ern in Zukunft 400 000 Elektroautos von Tesla bei uns verkauft werden, verschwinden in Deutschland zwei BMW-Fabriken“, rechnet Manfred Schoch vor. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von BMW sagt: „Vor allem die Batteriefertigung bietet Potenzial.“ Das sieht auch Nieke so: „Wer jetzt einsteigt, kann die Entwicklung vorantreiben. Wer abwartet, kann in ein paar Jahren nur noch zuschauen, was andere machen.“

Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, sieht die Branche vor der bislang größten Transformation ihrer kurzen Geschichte. Noch habe sie die Chance, mit den besten Umwelttechnologien rund ums Auto eine Poleposition im internationalen Wettbewerb zu gewinnen und damit Millionen Menschen auf Dauer sichere Arbeitsplätze zu bieten. „Dazu muss sie aber ihre Abwehrhaltung aufgeben und den Wandel selber offensiv angehen“, mahnt Hofmann. „Wir brauchen eine in Zukunftsfragen sprach- und handlungsfähige Autoindustrie.“ Damit sie das auch wird, mischt sich die IG Metall jetzt ein. Mit einem Fünf-Punkte-Vorschlag will sie den technologischen Wandel anschieben.


Der Plan

Dabei geht es um zwei Stoßrichtungen: Autos mit konventionellen Antrieben sollen umweltfreundlicher werden. Zugleich soll der Umstieg auf Autos mit alternativen Antrieben, also mit Batterie oder Brennstoffzelle, beschleunigt werden. Das ist der konkrete Plan, den die IG Metall zur Diskussion stellt:

  • Die Autohersteller verpflichten sich, ab 2018 in allen Fahrzeugsegmenten auch Elektroautos anzubieten. Die Bundesregierung hat zwar durch die Kaufprämie und Förderung von Batterieladepunkten schon erste Pflöcke eingeschlagen. Aber das reicht nicht für die erforderliche Steigerung ab 2020. Schließlich will die Bundesregierung, dass ab 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen rollen. Zurzeit sind es schlappe 35 000. Es sind also weitere große Anstrengungen notwendig.
  • Die Autobauer geben mehr Gas bei technischen Verbesserungen an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und verringern dadurch den Kohlendioxidausstoß pro Jahr um 1,5 Prozent. „Technisch machbar sind bis zu 20 Prozent. Sie sind aber nicht in vollem Umfang realisierbar, weil sie mit immensen Kosten verbunden wären“, sagt Frank Iwer, Autoexperte beim IG Metall-Vorstand. 1,5 Prozent hält er jedoch für realistisch.
  • Die IG Metall hält strengere CO2-Grenzwerte für erforderlich, um die Erderwärmung zu stoppen und die Klimaschutzziele zu erreichen. Aber sie dürfen nicht am grünen Tisch beschlossen werden. Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbände müssen beteiligt werden. Bevor neue Werte festgelegt werden, muss abgeklärt werden, wie sie sich auf die Arbeitsplätze auswirken.
  • In der Übergangszeit zum klimaneutralen elektrischen Auto müssen Dieselantriebe unbedingt erhalten bleiben – weil sie klimafreundlicher als Benziner sind. Allerdings produzieren sie Stoffe, die gesundheitsschädlich sind: Feinstaub und Stickoxide. Darum fordert die IG Metall, dass in allen neuen Modellen die beste verfügbare Abgastechnologie eingesetzt wird.
    Außerdem setzt sie sich für die blaue Plakette ein. Mit ihr wären Fahrten in innerstädtischen Umweltzonen nur noch mit Pkws erlaubt, die die Norm Euro 6 erfüllen, das heißt, die nicht mehr als 80 Milligramm Stickoxid und 4,5 Milligramm Feinstaub je Kilometer in die Luft blasen. Dabei muss es aber ausreichende Übergangsfristen für E-5-Fahrzeuge geben.
  • Die Messverfahren bei Abgastests müssen besser werden, auch damit die Autoindustrie nach der Dieselaffäre wieder Vertrauen bei Autokäufern und -käuferinnen zurückgewinnt. Das weltweit einheitliche Testverfahren WLTP (siehe Glossar links), das die Europäische Union ab 2017 einsetzen will, soll so schnell wie möglich eingeführt werden. Dasselbe gilt für RDE, ein Messverfahren, das Abgaswerte nicht auf dem Prüfstand, sondern im Realbetrieb misst. Die IG Metall fordert aber auch, dass die Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub so festgelegt werden, dass die Autohersteller sie einhalten können


Ein Zeichen

Dass die IG Metall jetzt „einen Sprung nach vorne macht, mit einem eigenen Vorschlag“, darin sieht BMW-Arbeitnehmervertreter Schoch ein „sehr gutes Zeichen für die Beschäftigung der Zukunft“. Die Betriebsräte sind überzeugt, dass künftig „grüne Mobilität den Takt vorgeben wird“, wie Peter Mosch, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Audi, sagt. „Aber die Umstellung wird ein gewaltiger Kraftakt. Ganze Unternehmensbereiche werden sich neu aufstellen müssen. Einige fallen vielleicht ganz weg, dafür werden andere neu entstehen.“

Daimler-Betriebsrat Nieke sieht in scharfen Grenzwerten und Abgasnormen die Chance, umweltfreundliche Verkehrskonzepte weiterzuentwickeln. „Nach der Erfindung des Autos geht es jetzt darum, auch bei den neuen Antrieben technisch die Führung zu übernehmen“, sagt Nieke. „Die IG Metall muss sich den Herausforderungen stellen und den Strukturwandel mit Herstellern und Zulieferern gemeinsam gestalten.“

Darauf zielt auch das Fünf-Punkte-Papier der IG Metall. „Unsere Aufgabe ist es nicht, Fahrzeuge zu entwickeln“, sagt Jörg Hofmann. „Wir wollen die Transformation so mitgestalten, dass kein Beschäftigter dabei unter die Räder kommt.“ In den Belegschaften lösen große Veränderungen Verunsicherung aus. Viele fragen sich: Verliere ich meine Arbeit? Ältere sorgen sich, ob sie noch mal die Schulbank drücken und in Zukunft Arbeiten erledigen müssen, denen sie sich nicht mehr gewachsen fühlen. „Wir müssen mit den Kolleginnen und Kollegen über ihre Sorgen reden und ihnen die Ängste nehmen“, sagt Audi- Betriebsrat Mosch.


Perspektiven

Den Beschäftigten müssen Perspektiven aufgezeigt werden. „Weiterbildung ist einer der der Schlüssel dazu“, meint Mosch. Bei Audi hat die Qualifizierung für die grüne Zukunft schon begonnen. Ingenieure, die bisher auf Verbrennungsmotoren spezialisiert waren, bilden sich jetzt neben der Arbeit weiter. Sie sollen zu Pionieren der serienreifen Elektromobilität werden. Dabei kooperiert Audi mit Hochschulen. Es ist ein Pilotprojekt – und ein Beispiel, das Schule machen kann.

„Arbeitsplätze, die wir in der Fertigung von Verbrennungsmotoren verlieren, müssen wir anderswo schaffen“, erklärt Manfred Schoch von BMW. „Sonst bleibt uns nur noch das Blechgehäuse. Und dann Gnade uns Gott.“ Neue Beschäftigung kann zum Beispiel bei der Digitalisierung und der Technologie für autonomes Fahren entstehen. Um Arbeit in Deutschland zu halten, ist es auch wichtig, dass die Batterien einschließlich der Zellen und der Steuerung des Elektroantriebs in Deutschland hergestellt werden und nicht in Asien zugekauft werden. „Dafür müssen wir jetzt Investitionen einfordern“, sagt Schoch. „Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Politik und Industrie.“

Dabei geht es auch darum, Elektroautos attraktiver zu machen. Noch ist die Einstellung vieler Autofahrerinnen und Autofahrer zu E-Mobilen wie die von Fleischgenießern zu Tofugerichten: moralisch hoch zu veranschlagen, weil gut für Umwelt und Gesundheit, aber nichts für den eigenen Gebrauch. Sie sind kein Ersatz, der zum Wechsel reizt.
Es fehlen noch Batterielademöglichkeiten. Die Strecken, die mit einer Batterieladung gefahren werden können, sind zu kurz. Aber in Zukunft werden Zellen mit besseren Eigenschaften entwickelt, die die Energiespeichermöglichkeiten der Batterien erhöhen, sodass Autofahrer mit elektrischem Antrieb weiter fahren können, ohne die Batterie zwischendurch aufladen zu müssen.


Pionier

Aller Anfang ist schwer. Auch das erste Auto war ein Flopp. 1886 ließ Carl Friedrich Benz sich das erste Motorfahrzeug patentieren. Es war dreirädrig, galt als Wunderwerk der Technik – und verkaufte sich schlecht. Die Idee, dass ein Automobil Pferde und Kutschen als Fortbewegungsmittel ersetzen könnte, galt vielen als spinnert. Was dann kam, ist Geschichte.

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