Internationaler Tag gegen Rassismus
„Rassismus gefährdet unseren Zusammenhalt“

Mit Reem Alabali-Radovan hat Deutschland erstmals eine Beauftrage für Antirassismus. Wir haben sie gefragt: Was hat sie konkret vor, um Rassismus zu bekämpfen?

21. März 202221. 3. 2022


Sie und ihre Eltern haben selbst Flucht-Erfahrungen machen müssen. Was brauchen die Menschen, die aus der Ukraine fliehen, jetzt am dringendsten?

Reem Alabali-Radovan: Einen sicheren Zufluchtsort. Viele sind nach einer langen Flucht erschöpft, traumatisiert, einige verletzt. Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf und eine angemessene Versorgung, auch medizinische. Das hat jetzt oberste Priorität. Wir gehen das an, so schnell und unbürokratisch es geht - gemeinsam in Europa, in Bund, Ländern und Kommunen. Auch die Hilfsbereitschaft der Bürger*innen ist beeindruckend, viele bieten Geflüchteten aus der Ukraine aktuell eine kostenfreie Unterkunft und Unterstützung bei Behördengängen an, das ist großartig.


Mit der Fluchtbewegung aus der Ukraine stellt sich auch wieder die Frage nach Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Sie haben das als ein Kernziel für ihre Amtszeit genannt. Wo hakt es bei dem Thema – und welche Folgen hat das?

Alabali-Radovan: Wir brauchen grundsätzlich eine schnelle und unbürokratische Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen – ganz unabhängig von der aktuellen Situation. Gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil möchte ich die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland voranbringen. Nach aktuellen Schätzungen fehlen uns schon jetzt 400.000 geschulte Fachkräfte pro Jahr, um die Lücken am Arbeitsmarkt zu schließen. Um für gute Arbeit in Deutschland zu werben, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

 

Reem Alabali-Radovan - Interviewpartnerin Thema Rassismus

 

Reem Alabali-Radovan (SPD) ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie Beauftragte für Antirassismus.

 

Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Politik, Wirtschaft und Verwaltung immer noch schwach repräsentiert. Sie wollen das ändern. Mit welchen konkreten Maßnahmen?

Alabali-Radovan: Wir werden als Bund mit einer Diversity-Strategie vorangehen, mit konkreten Fördermaßnahmen und Zielvorgaben für einen Kulturwandel. Ich möchte, dass sich die Vielfalt unserer Gesellschaft auf allen Ebenen widerspiegelt – allen voran auch im öffentlichen Dienst und den Bundesministerien. Wir wollen dafür sorgen, dass Qualifikation entscheidet, nicht Name, Aussehen oder Herkunft. Nötig sind zum Beispiel ein gutes Diversitätsmanagement sowie die Aufnahme kultureller Vielfalt in das Leitbild der Behörden – aber auch die positive Ansprache von Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei der Personalsuche.


Woran scheitert die Repräsentation bislang und wo sehen Sie bereits Veränderungen?

Alabali-Radovan: Viele Menschen haben den Öffentlichen Dienst als Arbeitgeber gar nicht auf dem Schirm. Dabei spielen auch Diskriminierungserfahrungen der potenziellen Bewerber*innen eine Rolle. Wir müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen Diversität voranbringen und Strukturen aufbrechen, damit wir Alltagsrassismus und strukturellem Rassismus den Nährboden entziehen.


Wie äußert sich dieser strukturelle Rassismus?

Alabali-Radovan: Rassismus fängt nicht mit Gewalt an. Er geschieht im Alltag, jeden Tag, überall – ob in der Bahn, an der Kasse oder im Stadion. Das können auch Benachteiligungen bei der Wohnungssuche oder bei Bewerbungsverfahren sein. Staat und Gesellschaft müssen gemeinsam einen Perspektivwechsel schaffen und alle unterstützen, die von Rassismus betroffen sind. Die Betroffenen müssen im Mittelpunkt unserer Anstrengungen stehen. Und wir alle müssen laut sein, uns einmischen, wann immer Menschen diskriminiert werden. Wir müssen wachsam sein, wenn in unserem Umfeld Propaganda, Desinformation und Verschwörungsmythen verbreitet werden. Denn Rassismus ist nicht nur das Problem der Betroffenen, er gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir müssen alle Antirassisten sein.


Auch in der Arbeitswelt erleben Menschen mit Migrationshintergrund oft Diskriminierung – zum Beispiel bei der Jobsuche. Wie lässt sich das ändern?

Alabali-Radovan: Indem wir zum Beispiel die Verfahren zur Personalauswahl überprüfen: Gibt es unbewusste kulturelle Barrieren? Wie sind unsere Auswahlkommissionen zusammengestellt oder müssen wir eventuell unsere Stellenprofile neu ausrichten?


Sie haben höhere Investitionen in Prävention und politische Bildung angekündigt. Ist Bildung wirklich die Lösung um Rassismus zu überwinden? Es gibt ja auch sehr gebildete Rassisten …

Alabali-Radovan: Klar ist, dass wir auch strukturell etwas ändern müssen in Deutschland, indem wir dem Hass entschlossen entgegentreten. Wir müssen rechtsextreme Zellen zerschlagen, das Strafrecht nachschärfen, die Prävention stärken und das Demokratiefördergesetz verabschieden, um Radikalen den Boden zu entziehen, wie auch Innenministerin Nancy Faeser es gerade anpackt.


Die IG Metall fordert flächendeckend Beratungsstellen für Opfer von Diskriminierung. Was halten sie von der Idee – und was müssen solche Beratungsstellen leisten?

Alabali-Radovan: Als Antidiskriminierungsbeauftragte bin ich zentrale Ansprechpartnerin der Bundesregierung für die Betroffenen von Rassismus, ich werde ihnen Gehör und Stimme geben. Mir ist wichtig, auf die vielfältigen und konkreten Bedürfnisse der von Rassismus Betroffenen einzugehen. Gerade bin ich deshalb in enger Abstimmung mit Migrantenorganisationen und Betroffenen, um ein bundesweites Beratungszentrum als niedrigschwellige, mehrsprachige Anlaufstelle einzurichten. Es soll ein ergänzendes und sinnvolles Angebot zu bestehenden Beratungsstrukturen sein.

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