Solarindustrie
Auferstehen aus Ruinen

Vor zehn Jahren war die deutsche Solarindustrie Weltmarktführer. Dann kappte die Politik die Förderung. 100 000 Jobs waren weg, China übernahm. Jetzt geht‘s wieder aufwärts – aber zu langsam. Es hängt an den Lieferketten. Und die Branche findet zu wenig Personal. Die IG Metall will das ändern.

29. Juni 202229. 6. 2022 |
Aktualisiert am 5. Juli 20225. 7. 2022


Die Solarstrom-Gesamtleistung muss von 60 auf 215 Gigawatt bis 2030 steigen, damit die Energiewende gelingt. So ist der Plan von Wirtschafts- und Energieminister Habeck. Doch derzeit ist der dafür nötige Zubau mit 4 Gigawatt im Jahr 2021 noch viel zu langsam.

Vor zehn Jahren waren es schon mal 8 Gigawatt Zubau im Jahr. Doch dann kam der Absturz.

Jahrelang war die Lage der deutschen Solarindustrie hervorragend. Die rot-grüne Regierung hatte Anfang der 2000er Jahre mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Vergütung von Solarstrom kräftig angehoben. Photovoltaik (die Umwandlung von Sonnenlicht in Strom) war ein lukratives und vor allem planbares Geschäft. Deutsche Solarhersteller waren Weltmarktführer. Vor allem in Ostdeutschland hatten sich zahlreiche Hersteller und Zulieferer angesiedelt, in und um Erfurt, in Freiberg/Sachsen, in Frankfurt an der Oder, im „Solar Valley“ in Bitterfeld-Wolfen-Thalheim in Sachsen-Anhalt. 2011 arbeiteten über 150 000 Beschäftigte in der Branche.
 

Politik kappt Förderung – 100 000 Jobs weg

Doch schon 2010 – mit dem zwischenzeitlichen Ausstieg aus dem Atomausstieg – bahnte sich der Einbruch an: Die Politik kappte die Förderung drastisch. Der jährliche Zubau sank von 2012 bis 2015 von 8 auf 2 Gigawatt. Und fast alle machten dicht: Bosch Solar, Conergy, Q-Cells, Solibro, Sovello, Solarworld. 100 000 Jobs waren weg.
 

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So geht Energiewende nicht: Nach der Solarindustrie sind auch die Arbeitsplätze in der Windkraft unter Druck geraten. Grafik: IG Metall.


Bosch-Betriebsrat Andy Poplawski hat es miterlebt, wie Deutschland die Energiewende in der Solarindustrie vergeigt hat. 2010 fing er bei Bosch Solar in Erfurt an. Bosch investierte eine Milliarde Euro in die Solarsparte. Es ging steil nach oben, in der Zukunftsbranche. Doch schon zwei Jahre später musste Poplawski als Betriebsrat über die Schließung des Werks verhandeln. Poplawski kam mit einem Teil der Beschäftigten ins Bosch-Solarwerk im wenige Kilometer entfernten Arnstadt. Doch auch das schloss dann Anfang 2014. Fast 2000 Jobs waren weg. Nur 100 Beschäftigte im Bosch-Elektrowerk Arnstadt blieben übrig.

Schuld an dem Einbruch hat aus Poplawskis Sicht vor allem die Politik. Sie förderte zwar den Zubau von Solarmodulen in großem Stil, über die Umlage nach dem „Erneuerbare-Energie-Gesetz“ (EEG-Umlage). Aber eben auch die billigen Module aus China. Und dann kürzte die schwarz-gelbe Koalition die Einspeisevergütung für Solardächer viel zu drastisch.

„Dazu kamen aber auch massive Managementfehler“, kritisiert Poplawski, der gerade mit der dritten Schließung zu tun hat: Bosch hat auch die Transformation zum Elektroauto verschlafen und das Aus für die übrigen 100 Beschäftigten beschlossen. „Damals vor dem Aus von Bosch Solar haben wir als Betriebsräte und IG Metall ausführliche Vorschläge zur Restrukturierung gemacht, etwa uns auf die Zellproduktion zu konzentrieren. Wenn Bosch damals durchgehalten hätte, wären wir heute die Größten.“
 

Chinesen sahnen ab und übernehmen Weltmarkt

Die größten Solarhersteller sitzen heute in China. Deutschland hat die Zukunftstechnologie Solar aus der Hand gegeben. Als die deutsche Politik damals die Vollbremse zog, kamen chinesische Firmen, kauften ein und übernahmen mit gezielter Förderung aus Peking und billigen Preisen den Weltmarkt. Sie produzieren heute 90 Prozent aller Solarmodule weltweit.

„Die Chinesen saugten unser Know-How und die Patente ab, dann war es aus“, erinnert sich Andreas Tillack, der als Betriebsrat 2019 die Bedingungen für die Beschäftigten bei der Insolvenz von Solibro im „Solar Valley“ Thalheim verhandelte. Er war dort von Anfang an seit 2008 dabei und baute den Betriebsrat mit auf.

In der IG Metall waren damals zu wenige, um genug Widerstand zu organisieren. Die Demos waren zu klein, zu leise. „Für die Gewerkschaft konnten wir kaum Leute begeistern, erst als es schon zu spät war“, erklärt Tillack. „Die Politik hat uns einfach fallen lassen. Wir sind sang- und klanglos untergegangen.“

Immerhin: Die Pleitewelle hat nicht alle Solarhersteller weggefegt. Einige haben durchgehalten und den Preiskrieg mit der chinesischen Billig-Konkurrenz überlebt. Etwa SMA in Niestetal bei Kassel, bis heute Technologieführer bei Wechselrichtern, bei der Vernetzung etwa mit Heizung und Klima - und für Systemlösungen. Auch bei SMA brachen die Gewinne ab 2012 ein. 2500 von über 5000 Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz. Doch seit 2019 geht es wieder aufwärts. Die Auftragsbücher sind voll. SMA will jetzt in Niestetal sogar eine weitere Fabrik bauen und die Produktionskapazitäten deutlich ausweiten.
 

Deutsche Solarindustrie wächst wieder nach – aber zu langsam

Durchalten, vorne dranbleiben statt absatteln – das hätte sich für die deutsche Solarindustrie langfristig gelohnt. Denn jetzt brummt das Geschäft mit Solarmodulen wieder. Solarstrom ist heute der billigste Strom. 4 bis 6 Cent je Kilowattstunde sind beim selbstverbrauchten Solarstrom vom eigenen Dach möglich, größere Solar-Kraftwerke produzieren sogar noch günstiger Strom. Kohlestrom und Atomstrom sind mit gut 15 Cent (zuzüglich staatliche Subventionen) erheblich teurer.
 

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Grafik: IG Metall
 

Das liegt vor allem daran, dass Solarmodule immer billiger werden. Die Produktion von Solarmodulen ist heute hoch automatisiert. Der Anteil der Lohnkosten liegt im einstelligen Prozentbereich. Dadurch sind deutsche Module kaum noch teurer als chinesische. Der lange Transport aus Fernost lohnt sich kaum noch. Dank innovativer Zelltypen und neuer Einsatzgebiete der Photovoltaiktechnologie gewinnen die einheimischen Solarzellen-Hersteller wieder an Bedeutung.

Aus den Ruinen der deutschen Solarindustrie wächst wieder Neues nach. Der Schweizer Konzern Meyer Burger etwa hat eine der stillgelegten Solarfabriken im „Solar-Valley“ im Stadtteil Thalheim von Bitterfeld-Wolfen gekauft – das ehemalige Werk von Sovello - und baut hier seit einem Jahr wieder Solarzellen.

Viele ehemalige Solar-Beschäftigte haben hier wieder einen Job gefunden. Auch Andreas Tillack ist wieder da. Er hat nur die Straßenseite von Solibro ins ehemalige Sovello-Werk gewechselt – und ist in den neuen Betriebsrat bei Meyer Burger in Thalheim gewählt worden.

Vor ein paar Wochen hat Meyer Burger auch das ehemalige Solarworld-Werk im sächsischen Freiberg gekauft, wo die Solarzellen aus Thalheim zu Solarmodulen weiterverarbeitet werden (Foto oben).

Das fordern unsere Solar-Betriebsräte
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Anne Eibisch, Meyer Burger, Hohenstein

„Unsere neueste Technologie verkaufen wir nicht mehr, sondern wir produzieren selber in Deutschland und halten unser Wissen im Konzern. Unsere Module erzielen mehr Leistung pro Fläche. Diesen Technologievorsprung wollen wir halten. Wir müssen die europäischen Lieferketten wieder zum Laufen bringen. Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen für die Solarindustrie bieten. Um Fachkräfte zu finden, würde uns ein Tarifvertrag sehr helfen.“

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Martin Breul, SMA, Niestetal

„Wir haben viel zu tun – aber wir könnten deutlich besser dastehen. Es hakt an der Lieferkette. Es kann nicht sein, dass Halbleiter nur noch in Asien und nicht mehr in Deutschland und Europa produziert werden. Zudem haben wir Probleme Personal zu finden. In der Produktion kriegen wir das noch halbwegs hin. Doch bei Spezialisten für Software etwa ist es schwierig. Nordhessen ist wenig attraktiv. Zudem haben wir noch keinen Tarif.“

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Andreas Tillack, Meyer Burger, Thalheim

„Ich habe 2008 bei Solibro in Thalheim angefangen und den Betriebsrat mit aufgebaut. Wir arbeiteten in einer Zukunftsbranche. Doch dann hat uns die Politik einfach fallen lassen. Chinesen kauften uns, saugten unser Know-how und die Patente ab, dann war es aus. Seit letztem Jahr bin ich bei Meyer Burger. Wir arbeiten mit der IG Metall daran, unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern. Vor allem muss die Politik diesmal nachhaltig sichere Rahmenbedingungen bieten.“

Wissen und Technologie halten

Die Maschinen und Anlagen für die Zell- und Modulfertigung baut Meyer Burger schon seit Jahren selbst in Hohenstein-Ernstthal/Sachsen.

Früher gingen die Maschinen von Meyer Burger nach China. Doch China baut seine Anlagen mittlerweile selbst, um sich auch diesen Zukunftsmarkt zu sichern. Meyer Burger hat daher schließlich entschieden, mit den eigenen Anlagen selbst Solarzellen und –module zu fertigen – und damit die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken. Drei Jahre Technologievorsprung hat ihnen das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme bescheinigt.

„Unsere Module erzielen dadurch mehr Leistung pro Fläche. Diesen Technologievorsprung wollen wir halten“, erklärt Anna Eibisch, Ingenieurin und Betriebsrätin bei Meyer Burger in Hohenstein. „Unsere neueste Technologie verkaufen wir nicht mehr, sondern wir produzieren selber in Deutschland und halten unser Wissen im Konzern.“
 

Europäische Lieferketten wieder aufbauen

Allerdings: Meyer Burger und auch SMA könnten viel mehr produzieren – doch fehlt es massiv an Halbleitern und Rohstoffen.

„Wir haben viel zu tun – aber wir könnten deutlich besser dastehen“, meint Martin Breul, Service Engineer und Betriebsratsvorsitzender bei SMA.

Damit die deutschen Solarhersteller wie SMA richtig durchstarten können, muss auch die Politik aus Breuls Sicht noch mehr tun. Es kann nicht sein, dass es an der Lieferkette hakt, dass es zentrale Glieder der Wertschöpfungskette wie die Herstellern von Halbleitern und Silizium-Wafern nur noch in Asien und nicht mehr in Deutschland und Europa gibt.

Die IG Metall führt deshalb bereits seit längerem Gespräche in Berlin und Brüssel. Das Ziel: der Aufbau einer europäischen Wertschöpfungskette mit einem europäischen Halbleiterwerk. Martin Breul hat an den Positionen im Arbeitskreis Energie der IG Metall mitgearbeitet.

„Wir müssen die europäischen Lieferketten wieder zum Laufen bringen“, fordert auch Meyer-Burger-Betriebsrätin Anna Eibisch. „Zudem muss die Politik verlässliche Rahmenbedingungen für die Solarindustrie bieten, die Subventionen für fossile Energie und Atomstrom abschaffen – und das Geld lieber in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken. Damit machen wir uns langfristig auch weniger abhängig von Autokraten. “
 

Personalmangel – Tarif muss her

Es gibt noch einen Haken: Die Solarhersteller haben Probleme, Personal zu finden. „In der Produktion kriegen wir das noch halbwegs hin. Doch bei Spezialisten für Software etwa ist es schwierig. Nordhessen ist wenig attraktiv. Zudem haben wir noch keinen Tarif“, meint SMA-Betriebsrat Martin Breul.

Früher gab es wenig Gründe bei SMA, in die Gewerkschaft einzutreten und einen Tarifvertrag durchzusetzen: Es gab eine satte Gewinnbeteiligung. Dienstfahrräder und regionales veganes Kantinenessen gibt es bis heute. Doch die satte Gewinnbeteiligung ist weg. Das Management kassierte sogar eine bereits zugesagte Entgelterhöhung wieder ein. Immer mehr Beschäftigte registrieren, dass sich in den letzten Jahren einiges verschlechtert hat. Doch in der IG Metall sind immer noch zu wenige. Das muss sich ändern!

Bei Meyer Burger in Hohenstein sind immerhin schon über 40 Prozent in der IG Metall. Aber auch das reicht noch nicht ganz, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Aus Anne Eibischs Sicht muss sich bei den Arbeitsbedingungen dringend etwas tun, um wieder Fachkräfte zu finden. Zwar haben sie eine Verkürzung von 40 auf 39 Stunden in der Woche durchgesetzt. Aber jetzt kommen sie nicht mehr weiter.

„Bei den aktuellen Preissteigerungen fordern alle zuerst mehr Lohn. Kolleginnen und Kollegen die schon länger hier im Unternehmen sind, haben seit Jahren nicht einmal einen adäquaten Inflationsausgleich bekommen.  Von unserem Idealismus können wir die gestiegenen Kosten auch nicht bezahlen. Wie sollen wir so Fachkräfte finden? Ein Tarifvertrag würde uns da sehr helfen.“

7500 Kilometer für die Energiewende – aber wer baut sie?

 

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