Interview mit IG-Metall-Vize Christiane Benner im Handelsblatt
„Die Digitalisierung ist wie ein Cocktail“

Sie ist erste Frau an der Spitze der IG Metall: Christiane Benner spricht im Handelsblatt-Interview über die Lohnkluft zwischen Männern und Frauen, Autos aus dem 3-D-Drucker und Überraschungen der digitalen Arbeitswelt.

24. November 201524. 11. 2015


Inzwischen, sagt Christiane Benner, ist ihr Adrenalinspiegel wieder einigermaßen auf Normalniveau angekommen, auch wenn sie immer noch einen Heidenrespekt vor ihrer neuen Aufgabe hat: Auf dem Gewerkschaftstag im Oktober wurde die 47-jährige Soziologin zur Stellvertreterin des neuen IG Metall-Chefs Jörg Hofmann gewählt und ist damit die erste Frau an der Spitze der weltgrößten Einzelgewerkschaft. Besonders am Herzen liegt Benner die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt. Nicht alles, was das SPD-Mitglied dazu zu sagen hat, wird beim Arbeitgebertag an diesem Dienstag in Berlin gut ankommen. So sieht die Gewerkschafterin zwar neue Chancen, Beruf und Familie besser vereinbaren zu können, fordert aber auch ein Recht auf Abschalten. Und gläserne Beschäftigte wird es mit ihr nicht geben.


Frau Benner, der Schriftsetzer ist aus der Arbeitswelt verschwunden, der Kohlekumpel wird bald auch nicht mehr gebraucht. Welche Berufe lässt nun die Digitalisierung aussterben?

Christiane Benner: Viele Berufe werden nicht aussterben, aber sich verändern. Aus dem Mechatroniker wird der IT-Systemmechatroniker, statt der Sekretärin ist die Büromanagerin gefragt, neue Ausbildungsberufe wie Mathematisch-technische Softwareentwickler (MATSE) oder Produktionstechnologe entstehen. Klar ist: Ohne IT-Qualifikationen wird es nicht gehen. Veränderungen in den Berufsbildern hat es doch immer gegeben.

Was ist das Besondere bei der Arbeit 4.0?

Das Internet bietet ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung von Arbeitsabläufen. Wir haben künstliche Intelligenz, cyberphysische Systeme, die Trennlinien zwischen Produktion, Administration, Dienstleistungs- und Wissensarbeit lösen sich auf. Das sind tektonische Verschiebungen, die früher unvorstellbar waren. Hinzu kommen disruptive Geschäftsmodelle wie zum Beispiel das von Uber.

Und die beunruhigen Sie?

Ich vergleiche die Kombination aus Digitalisierung und Globalisierung gerne mit einem Cocktail: Ob der bunt und lecker wird oder am Ende einen bösen Kater verursacht, muss sich zeigen. Wir wollen den Cocktail so mixen, dass er auch den Beschäftigten gut bekommt. Zeitig das Büro verlassen, die Kinder ins Bett bringen und dann am Tablet noch eine Stunde arbeiten – was ist so schlimm daran? In der Tat bietet die Digitalisierung neue Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder mehr Zeitsouveränität. Aber dies kann eben auch zu einer Auflösung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben führen.

Was wiegt also schwerer – Chancen oder Risiken?

Wir wollen die Chancen nutzen und Risiken begrenzen. Es ist unser Ziel, eine faire Arbeitswelt zu gestalten. So haben wir in einigen Unternehmen per Betriebsvereinbarung schon ein Recht auf Abschalten erwirkt – etwa bei BMW. Es gibt Themen, aus denen sich die Politik raushalten sollte.

Sie werben nicht nur um Facharbeiter, deren Jobs durch die Digitalisierung vielleicht am ehesten bedroht sind, sondern verstärkt auch um Ingenieure. Warum sollten die IG-Metall- Mitglied werden?

Auf der nunmehr 7. Engineering- und IT-Tagung haben wir Wissenschaftler und Betriebspraktiker zusammengebracht. Bei BMW beispielsweise haben die Ingenieure die Erfahrung gemacht, dass sie gemeinsam mit der IG Metall Rahmenbedingungen für gute Arbeit gestalten können. Sie beklagen, dass die Unternehmen auch immer mehr Entwicklungsaufträge an Fremdfirmen vergeben, etwa über Werkverträge.

Diesen Prozess werden sie doch kaum aufhalten, oder?

Gerade hat das Büro „Team IG Metall im FIZ“ im Forschungs- und Innovationszentrum bei BMW eröffnet, wo mehr als 9000 Beschäftigte arbeiten. Die wollen auch faire Bedingungen für den Einsatz von Werkvertragsingenieuren, weil sonst Druck auf ihre Löhne entsteht.

Aber werden Entwicklungsaufträge dann nicht einfach ins Ausland vergeben, wenn hier zu viel reguliert wird?

Wir haben mit vielen Unternehmen bereits gute Vereinbarungen zum Outsourcing erreicht, wo genau drinsteht, welche Entwicklungsleistungen an deutschen Standorten bleiben. Wir werden die Produktion auf lange Sicht nur hier halten, wenn uns das auch mit der Entwicklung gelingt.

Und wenn Sie nicht weiterkommen, dann laufen Sie zum Gesetzgeber, wie bei Leiharbeit und Werkverträgen?

Bei der Leiharbeit haben wir gute tarifvertragliche Regelungen erreicht. Bei den Werkverträgen sind wir an einen Punkt gelangt, wo es eine gesetzliche Regelung braucht. Es gibt aber auch Themen, aus denen sich die Politik explizit raushalten sollte.

Zum Beispiel?

Die Kluft bei der Bezahlung von Männern und Frauen wollen und müssen wir über Tarifverträge schließen. Der Gesetzgeber kann per Gesetz für mehr Transparenz sorgen, aber er soll jetzt keine neuen Entgelttabellen entwickeln. Das müssen die Tarifpartner regeln.

Und wo ist er in Sachen Digitalisierung noch gefragt?

Die Schulen müssen mehr Technikverständnis und das nötige Wissen zum Programmieren vermitteln. Unser Sozialsystem muss auch der steigenden Zahl von Projektarbeitern oder Selbstständigen sozialen Schutz bieten. Und dann ist da natürlich die Herkulesaufgabe Datenschutz.

Sie wollen Datenkraken wie Google Grenzen setzen?

Die Machtkonzentration in Konzernen wie Google, die Daten aggregieren, verwenden und verkaufen, müssen wir rechtlich klare Grenzen setzen. Es darf keinen gläsernen Beschäftigten geben. Wir brauchen ein Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit.

Die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen, wird mit fortschreitender Digitalisierung immer leichter. Wie wollen Sie Beschäftigte davor schützen?

Ein entsprechender gesetzlicher Datenschutz ist das eine. Auf der anderen Seite brauchen wir nicht zwingend seitenlange Betriebsvereinbarungen. Das kann man auch technisch lösen, indem man zum Beispiel bestimmte Datenlöschroutinen programmiert.

Sie fürchten ja, dass viele Beschäftigte bald gar nicht mehr ins Büro kommen, sondern sich als Clickworker vom Homeoffice aus um Aufträge bewerben, die auf Internetplattformen ausgeschrieben werden. Sprechen wir hier nicht über ein absolutes Randphänomen?

Crowdsourcing ist die neue, vielleicht radikalste Spielart der Flexibilisierung und Kostensenkung. Es ist nicht einzusehen, dass Arbeit, nur weil sie digital erfolgt, in einem rechtsfreien Raum stattfindet. Wir gehen in Deutschland heute von ungefähr einer Million Clickworkern aus, die das natürlich nicht alle als Hauptbeschäftigung machen. Aber wo die Entwicklung hinführen kann, zeigt das Beispiel Local Motors.

Wohin?

Das US-Unternehmen hat in Berlin eine Dependance eröffnet und einen Exklusivvertrag mit VW. Es beschäftigt 100 feste Entwickler und 53 000 Clickworker. Die haben ein Auto aus dem 3-D-Drucker entwickelt, das mit 90 000 Dollar sehr teuer und, wie ich finde, nicht besonders schön ist. Aber das muss ja nicht so bleiben. Das Design geht uns nichts an, aber um faire Arbeitsbedingungen auch für Clickworker wollen wir uns kümmern.

Sie sind die erste Frau an der Spitze der IG Metall. Wie wollen Sie die Rolle der Frau in den Betrieben stärken?

Wir wollen Arbeitszeitmodelle so gestalten, dass Männer und Frauen gleichberechtigt am Erwerbsleben teilhaben können. Bisher arbeiten Männer im Schnitt deutlich mehr als Frauen, die wegen familiärer Verpflichtungen oft nur Teilzeit arbeiten. Das darf so nicht bleiben. Wir brauchen neben verbesserten Betreuungsstrukturen ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit.

Sie beklagen auch den Verdienstunterschied von 22 Prozent zwischen den Geschlechtern. Hat der, neben der Teilzeit, nicht auch damit zu tun, dass Frauen sich noch häufig für schlechter bezahlte Dienstleistungsjobs entscheiden?

Ja, das ist ein Grund. Wir werben deshalb massiv dafür, dass junge Frauen in der Metall- und Elektroindustrie eine Ausbildung beginnen, und ziehen dabei auch mit den Arbeitgebern an einem Strang. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung des drohenden Fachkräftemangels.

 
Das Interview erschien am 24. November 2015 im Handelsblatt.

Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

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