Wir fordern 8,5 Prozent mehr Geld, für eine Laufzeit von 12 Monaten, jetzt. Zudem soll langfristig die Arbeitszeit stufenweise von 35 Stunden auf 32 Stunden in der Woche abgesenkt werden – bei vollem Lohnausgleich.
Auch die Tarifverträge zur Altersteilzeit sowie zur Beschäftigungssicherung sollen für die über 80 000 Beschäftigten der nordwestdeutschen und ostdeutschen Stahlindustrie verlängert werden.
Wie begründet die IG Metall ihre Forderung nach 8,5 Prozent mehr Geld?
Die Haushaltskassen stabilisieren, monatlich mehr Geld im Geldbeutel – das ist den Stahl-Beschäftigten aktuell am aller wichtigsten, wie eine Befragung unter 11.000 Beschäftigten zeigt. 72 Prozent gaben an, dass für sie die Entgelterhöhung angesichts der immer noch hohen Inflation wichtig sei.
Die Tarifkommissionsmitglieder haben die Höhe der prozentualen Erhöhung in ihren Betrieben diskutiert und schließlich als tragbaren Kompromiss die 8,5 Prozent als ihre Forderung beschlossen, was der Vorstand der IG Metall abschließend durch sein Votum bestätigte.
Warum will die IG Metall die Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche reduzieren?
Wir wollen mit dem Einstieg in eine Arbeitszeitverkürzung jetzt eine Grundlage für eine soziale Transformation schaffen. Die Umstellung der Hochöfen auf Direktreduktionsanlagen mit grünem Wasserstoff statt Koks, um die Stahlproduktion CO2-frei zu machen, läuft bereits. Und es ist klar, dass die neuen Anlagen weniger Arbeit benötigen. Weiterer Arbeitsplatzabbau droht. Die IG Metall will das verhindern, indem die Arbeit besser verteilt wird: Wenn alle nur noch 32 statt wie bisher 35 Stunden arbeiten, dann reicht die Arbeit für mehr Beschäftigte.
Soziale Transformation heißt auch, dass nicht die Beschäftigten die Arbeitszeitverkürzung durch Verzicht auf Lohn und Gehalt allein bezahlen, sondern auch die Arbeitgeber. Der volle Lohnausgleich soll dafür sorgen, dass die Beschäftigten, die während der Corona-Krise oft freiwillig ihre Arbeitszeit reduziert und dabei auch auf Geld verzichtet haben, nicht dauerhaft geringere Löhne und damit auch weniger Rente hinnehmen müssen.
Arbeitszeit runter trotz Fachkräftemangel – wie passt das zusammen?
Die Arbeitgeber beklagen sich, dass ihnen bereits jetzt Arbeits- und Fachkräfte fehlen – und daher die Arbeitszeit nicht verkürzt werden kann. Dazu passt aber nicht, dass die Stahlarbeitgeber bereits in den vergangenen drei Jahren 7000 Stellen abgebaut haben, also ungefähr 8 Prozent der Beschäftigten. „Die Unternehmen können jetzt nicht fehlende Fachkräfte beklagen, wenn die bei den ersten Krisenwolken Personal abbauen“, kritisiert Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen und Verhandlungsführer für die Verhandlungen im Nordwesten.
Gleichzeitig zeigt sich aktuell immer wieder, dass reduzierte und flexiblere Arbeitszeiten Betriebe attraktiver für Bewerberinnen und Bewerber machen. Besonders für die jüngere Generation ist das häufig ein wichtiger Faktor, wenn sie sich nach dem Studium oder der Ausbildung ins Berufsleben orientieren. Und die Stahlindustrie braucht gut ausgebildete Fachkräfte für die Transformation - die Umstellung auf Wasserstoff und grünen Strom.
Wie sehen die 32 Stunden beziehungsweise die 4-Tage-Woche in der Praxis konkret aus?
Eine 32-Stunden-Woche ist in der Schichtarbeit sehr gut umzusetzen. Viele Beschäftigte arbeiten in sogenannter Konti- oder Vollkontischicht, auch nachts und am Wochenende. Ihre Schichtmodelle sehen in der Regel weniger als 35 Stunden in der Woche vor. Das bedeutet, dass Beschäftigte über das Jahr verteilt immer wieder Zusatzschichten machen müssen, um auf ihre volle Arbeitszeit zu kommen.
37 Prozent der Stahlbeschäftigten arbeiten bereits jetzt schon unter 35 Stunden. Bei ArcelorMittal in Bremen etwa 33,6 Stunden, in Eisenhüttenstadt/Brandenburg meist sogar nur 32 Stunden. Ähnliche Modelle gibt es auch bei ThyssenKrupp. Ein Großteil wählt sogar freiwillig kürzere Arbeitszeiten. Doch erhalten sie derzeit keinen Lohnausgleich für die verkürzte Arbeitszeit, sondern sie verzichten auf Geld.
Ein Lohnausgleich würde auch die Arbeitgeber an der Finanzierung der kürzeren Arbeitszeiten beteiligen.
Mit einer 32-Stunden-Woche ist auch eine 4-Tage-Woche möglich – und zwar eine gesunde, mit 8 Stunden am Tag (alles darüber ist arbeitsmedizinisch erwiesen ungesund und erhöht das Unfallrisiko). Eine 4-Tage-Woche ist vor allem in Normalschicht einfach umzusetzen, im indirekten Bereich, in Bürojobs. Und natürlich werden nicht am Donnerstagabend die Hochöfen abgeschaltet. Die werden auch weiter rund um die Uhr laufen, betrieben von Beschäftigten in Kontischicht.
Mehr Geld und Arbeitszeit runter bei vollem Lohnausgleich – wie sollen Unternehmen das bezahlen?
Der Staat hat bis jetzt fast jeden Transformationsschritt in der Stahlindustrie finanziell massiv unterstützt – das entspricht auch den Forderungen der IG Metall. Wenn der Staat so viel Geld investiert, sind Unternehmen in der Verantwortung, Arbeitsplätze abzusichern. Am Ende werden nicht die Personalkosten darüber entscheiden, ob im Stahl transformiert wird oder nicht, sondern die Energiekosten und der Zugang zu grüner Energie und grünem Wasserstoff.
Mit gerade einmal 9 Prozent am Umsatz ist der Anteil der Personalkosten vergleichsweise sehr gering in der Stahlindustrie. Eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 8,5 Prozent würde daher die Gesamtkosten um gerade einmal 0,765 Prozent erhöhen.
Ab wann sind Warnstreiks und Streiks möglich?
Zunächst findet die zweite Tarifverhandlung am 23. November 2023 statt. Kommt es dort nicht zu einem Ergebnis, beziehungsweise gehen die Arbeitgeber nicht genügend auf die Forderung der IG Metall ein, könnten bald Warnstreiks folgen. Am 30. November um 24 Uhr endet mit dem Auslaufen der gekündigten Entgelttarifverträge auch die Friedenspflicht. Danach sind dann Warnstreiks zulässig.
In der saarländischen Stahlindustrie gelten eigene Tarifverträge mit anderen Laufzeiten. Hier sind die Entgelttarife erstmals zum 29. Februar 2024 kündbar.