Angleichung Ost
So läuft die 35-Stunden-Woche in den Betrieben an

Seit Anfang Januar läuft in vielen Betrieben im Osten die erste Stufe der Arbeitszeitabsenkung an – ein wichtiger Schritt zur Angleichung ist damit getan. Doch was verändert sich dadurch im Arbeitsalltag der Beschäftigten und wie kommt die Umstellung an? Ein Blick in die Betriebe.

2. Februar 20222. 2. 2022


Im Osten müssen viele Beschäftigte immer noch für die gleiche Arbeit und das gleiche Entgelt mehr arbeiten. Die Arbeitgeber stellen sich bei der Angleichungsfrage seit Jahrzehnten quer, doch in der vergangenen Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ist den Beschäftigten und der IG Metall der Durchbruch gelungen: Über 60 Prozent der IG Metall-Mitglieder in den dort tarifgebundenen Unternehmen gehen nun schrittweise von der 38-Stunden-Woche runter auf 35 Stunden. Immer mehr Unternehmen ziehen nach. Seit Anfang Januar haben einige Betriebe in einem ersten Angleichungsschritt eine Stunde pro Woche abgesetzt und arbeiten nun 37 Wochenstunden.
 

Raus aus den Minusstunden

Einer, der beide Arbeitsmodelle gut kennt, ist Thomas Prochaska. Bis 2011 hat er in Regensburg bei BMW 35 Stunden die Woche gearbeitet, dann hat er den Standort gewechselt und musste in Leipzig plötzlich 38 Stunden arbeiten. „Im Arbeitsalltag selbst merkt man die drei Stunden mehr nicht direkt, weil die Schichten sind, wie sie sind. Man merkt es aber am Zeitkonto“, sagt der Fachspezialist Prochaska. Denn die Stunden summieren sich auf. „Wenn du 35 Stunden arbeitest, hast du durch Mehrarbeit so viele Stunden zusammen, dass du am Ende des Monats mal einen Tag zuhause bleiben kannst. Das schafft viel mehr Flexibilität, da man so mal einen freien Tag mit der Führungskraft vereinbaren kann, ohne einen Urlaubstag dafür zu opfern.“

Auf das Jahr betrachtet haben die Beschäftigten mit der 38-Stunden-Woche einen ganzen Monat mehr als im Westen gearbeitet. „Das hat es auch so schwer in den Verhandlungen gemacht, weil die Arbeitgeber wenig Interesse hatten, das zu ändern“, sagt Nino Ludwig, Leiter des Vertrauenskörpers am BMW Standort in Leipzig. „Die stufenweise Arbeitszeitreduzierung wird natürlich in der Belegschaft super aufgenommen, auch wenn sie durch die Kurzarbeit und die Pandemiebedingungen das jetzt noch nicht so unmittelbar spüren.“

Doch gerade was die Kurzarbeit angeht, wird die verkürzte Arbeitszeit noch hilfreich werden. „Durch die viele Kurzarbeit sind einige Kollegen und Kolleginnen ins Minus gerutscht, weil es immer wieder Schließungstage gab. Für uns wird es jetzt einfacher aus diesem Minus herauszukommen und das ohne, dass zusätzlich gearbeitet muss, zum Beispiel an einem Samstag.“
 

Kleinere Unternehmen ziehen nach

Die betrieblichen Lösungen, wie bei BMW, zeigen, dass von den Teilzeitkräften bis hin zu Leitungspositionen alle von den tariflichen Vereinbarungen profitieren – ob bei der Stundenanzahl oder durch den steigenden Stundenlohn. Auch die Jugend zählt zu den deutlichen Gewinnern. Lisa Neubert ist Vorsitzende der Jugend- und Ausbildungsvertretung (JAV) bei Volkswagen in Zwickau. Seit Anfang des Jahres ist auch hier die erste Stufe zur Angleichung angelaufen. „Für die Azubis haben wir es im ersten Schritt geschafft, dass sie im VW Bildungsinstitut nur noch eine Arbeitszeit von 37 Stunden in der Woche haben“, sagt die JAV-Vorsitzende.

Auch immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen setzen die stufenweise Angleichung um, nicht zuletzt um Konkurrenzfähig zu bleiben. Kocks Ardelt stellt Drehkräne für Häfen her. Die 140 Beschäftigten am Standort in Eberswalde, Brandenburg, mussten nicht einen einzigen Warnstreik ankündigen, um die betriebliche Lösung zur Angleichung durchzusetzen. „Für mich war von Anfang an klar: Das ist eine politische Angelegenheit. Wir wollen die 35-Stunden-Woche, weil es 30 Jahre nach dem Mauerfall Zeit wird, dass hier endlich einmal gleiche Bedingungen herrschen“, sagt Torsten Füllgraf, Betriebsratsvorsitzender von Kocks Ardelt in Eberswalde.
 

Mehr Plus auf dem Arbeitszeitkonto

Ein Vieraugengespräch mit der Unternehmensleitung gab den Einstieg in Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung, so dass innerhalb relativ kurzer Zeit eine Betriebsvereinbarung unterschrieben werden konnte. „Dann haben wir in den Gremien demokratisch darüber abgestimmt“, so Füllgraf. Natürlich habe es auch Bedenken gegeben, dass es zur Arbeitsverdichtung kommt, aber der Betriebsratsvorsitzende hat keine Bedenken, dass sich nicht auch hier pragmatische Lösungen finden werden.

Ab Mai ist es so weit und die erste Stunde der Arbeitszeit wird abgesenkt. „Am meisten werden das unsere Kollegen auf der Baustelle merken. Die Montage und die Inbetriebnahme lässt sich nicht immer ganz in der vorgesehenen Arbeitszeit erledigen. Vier Stunden mehr auf dem Arbeitszeitkonto werden hier noch stärker ins Gewicht fallen.“

In den nächsten Monaten werden voraussichtlich zahlreiche andere Unternehmen nachziehen, Gespräche zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitungen laufen bereits. Nach Berlin, Brandenburg und Sachsen gibt es nun auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen einen tariflichen Rahmen für die schrittweise Angleichung auf betrieblicher Ebene.

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