Ralf, eine DGB-Umfrage zeigt: 81 Prozent der Beschäftigten im Handwerk identifizieren sich sehr mit ihrer Arbeit. Aber nur zehn Prozent sagen, sie haben gute Arbeit. Wie passt das zusammen?
Ralf Kutzner: Das ist kein Widerspruch. Die Arbeit selbst ist meistens interessant, abwechslungsreich und auch selbstbestimmt. Aber es fehlt die Wertschätzung. Die Arbeitsbedingungen sind oft schlechter als in der Industrie. Handwerker erhalten zudem im Durchschnitt fast 1000 Euro weniger Entgelt als alle Berufstätigeninder Gesamtwirtschaft. Auch qualifizierte Fachkräfte verdienenweniger als zum Beispiel ihre Kolleginnen nd Kollegeninder Industrie. Das haben Wissenschaftlerinnen der Uni Göttingen gerade in einer Lohnstudie ermittelt.
Ist das der Grund, warum gerade Handwerksfirmen jammern, dass sie keine Fachkräfte finden?
Ja. Sie haben in der Tat Probleme. 2017 konnten 19 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Von den jungen Leuten, die eine Ausbildung im Metall- und Elektrohandwerk absolvieren, wandert ein Drittel danach in die Industrie ab, ein weiteres Drittel wechselt in andere Sektoren oder an Schulen und Hochschulen. Das zeigt, dass das Handwerk den Wettbewerb um Fachkräfte zunehmend verliert. Die Entgelte und Arbeitsbedingungen müssen attraktiver werden. Nichtnur imInteresse der Beschäftigten, sondern auch der Betriebe.
Warum sind sie eigentlich nicht so gut wie in anderen Branchen?
Ein Grund ist, dass 70 Prozent der Betriebe nicht tarifgebunden sind. Noch weigert sich eine Reihe regionaler Handwerksverbände, Tarifverträge abzuschließen. Wir fordern vom Gesetzgeber, dass er Innungen den öffentlich-rechtlichen Status entzieht, wenn sie sich Tarifverhandlungen verweigern, denn das gehört zu ihren Aufgaben. Wir stellen aber fest, dass sich die Stimmung bei den Verbänden und den Betriebsinhabern dreht. Allmählich wächst bei ihnen die Einsicht, dass man mit tariflosen Zuständen keine Fachkräfte gewinnt.
Liegt das Problem denn bisher nur bei den Arbeitgebern?
Nein. Es spielt auch eine Rolle, dass im Handwerk die Mitbestimmungskultur nicht sehr ausgeprägt ist. Es sind oft Kleinbetriebe ohne Betriebsräte. Und der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder ist niedriger als etwa in der Industrie. Letztlich sind wir – die IG Metall und ihre Mitglieder in den Betrieben – diejenigen, die die Tarifbindung durchsetzen müssen. Viele Mitglieder, Betriebsräte und Tarifbindung – dieser Dreiklang ist der Garant für gute Arbeitsbedingungen.
Was tun?
Wir wollen uns noch mehr anstrengen, Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer im Handwerk davon zu überzeugen, in die IG Metall einzutreten, und sie dabei unterstützen, Betriebsräte zu gründen. Wichtig ist, Tarifverträge durchzusetzen. Wo wir Tarifverträge vereinbaren, steigen die Entgelte. Im Metallhandwerk in Niedersachsen haben wir zum Beispiel die tarifliche Altersversorgung über Tarifverträge verbessert. Es gibt viele positive Beispiele, die Mutmachen. Daran müssen wir anknüpfen.
Im Handwerk nehmen doch die großen Betriebe zu. Wird es dadurch für die IG Metall leichter, Tarifverträge durchzusetzen?
Wir erleben im Handwerk tatsächlich gerade starke Konzentrationsprozesse. Kleine Betriebewerdenkleinerundweniger, große größer.Wir habenes immer öftermit Handwerkskonzernenzu tun, die – auf viele Einzelstandorte verteilt – teilweisemehr als 10000 Beschäftigte haben. Technologische Veränderungen, wie die Digitalisierung, werden den Trend zu größeren Betrieben noch beschleunigen. Aber auch in ihnen fallen Tarifverträge und eine Mitbestimmungskultur nicht vom Himmel. Den Beschäftigten wird nichts geschenkt. Gute Arbeit müssen sie sich erkämpfen. Das gelingt nur, wenn wir Druckpotenzial aufbauen können. Dazu müssen wir stark sein.
Du sprichst die Digitalisierung an. Ist sie im Handwerk schon ein Thema?
Absolut. Das Handwerk ist da schon weit vorn. Elektriker haben zum Beispiel digital ausgerüstete Werkzeugkästen. Mechatroniker in Kfz-Werkstätten arbeiten mit digitalen Assistenzsystemen. In der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik stehen mit der digitalen Vernetzung elektrischer Anlagen, wie Beleuchtung und Heizungen, große Veränderungenbevor. Wohin die Reise noch geht, kann niemand vorhersagen.
Müssen die Beschäftigten Angst vor der Digitalisierung haben?
Das müssen sie nicht, wenn wir sie mitgestalten. Wenn wir sie den Arbeitgebern überlassen, besteht die Gefahr, dass viele ihre Arbeitsplätze verlieren und nicht für neue qualifiziert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass alle an Qualifizierungen teilhaben können und Chancen auf berufliche Entwicklung haben. Auch dazu brauchen wir starke Betriebsräte und Tarifverträge. Was wir bei der Digitalisierung auf gar keinen Fall brauchen, ist mehr Arbeitsdruck auf die Beschäftigten durch ein aufgeweichtes Arbeitszeitgesetz und Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit, wie es Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer gerade fordert.