Mythos 1: Die Lebenserwartung steigt – also muss auch das Rentenalter steigen
Fakt ist: Die allgemeine Lebenserwartung steigt. Aber um arbeiten zu können muss man nicht nur am Leben sein, sondern auch fit. Wichtiger als die reine Lebenserwartung ist deshalb die sogenannte „beschwerdefreie Lebenserwartung“. Damit bezeichnen Bevölkerungsforscher die Zeitspanne ohne körperliche oder geistige Einschränkungen. Die beschwerdefreie Lebenserwartung ist weit niedriger als die allgemeine Lebenserwartung. Sie liegt in Deutschland derzeit bei gut 65 Jahren – für Neugeborene, wohlgemerkt!
Viele Menschen können also gar nicht länger arbeiten, nur weil sie statistisch gesehen älter werden. Bereits heute schaffen es viele nicht bis zum regulären Rentenalter. Steigt das gesetzliche Renteneintrittsalter weiter, bedeutet das für Millionen Deutsche nichts anderes als eine Rentenkürzung: Sie gehen vorzeitig mit Abschlägen in den Ruhestand.
Ein weiteres Problem: Für ältere Menschen ist es oft schwer, in Arbeit zu bleiben oder eine neue Stelle zu finden. Die Arbeitslosenquote ist bei über 50-Jährigen überdurchschnittlich hoch.
Forderungen nach einer längen Lebensarbeitszeit kommen meist von hochbezahlten Menschen mit geringer körperlicher Belastung – und von Arbeitgebern, die sich durch eine höhere Regelaltersgrenze möglichst niedrige Rentenbeiträge erhoffen.
Mythos 2: Der Staat zahlt Milliarden in die Rentenkasse – also ist die Rente zu teuer
Fakt ist: Dass in die Rentenkasse auch Steuermittel fließen, ist wenig überraschend. Die Rentenkasse übernimmt schließlich auch gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Sie bezahlt Leistungen, denen keine Beitragseinnahmen gegenüberstehen.
Diese Leistungen werden immer mehr ausgeweitet. Aktuelle Beispiele sind die Mütterrente oder die Ost-West-Rentenangleichung. Logisch wäre, solche Leistungen mit Steuermitteln zu bezahlen. Stattdessen belasten sie die Rentenversicherung und damit in erster Linie die Beitragszahler.
Mythos 3: Die Alten kassieren – die Jungen zahlen die Zeche
Fakt ist: Diese Aussage ist banal. Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Umlagesystem. Die Rentenbeiträge der Beschäftigten werden nicht angespart, sondern direkt an die aktuellen Rentner ausgezahlt.
Die Frage ist also höchstes, ob die Beitragszahler „zu viel“ bezahlen. Dazu eine Zahl: Der Rentenbeitrag ist heute niedriger als Mitte der Achtzigerjahre.
Und: Gerade die Jungen haben ein Interesse daran, dass die Rente auch in Zukunft ein gutes Auskommen ermöglicht. Denn ihre Erwerbsbiografien haben häufiger Lücken als die der Älteren, sie kommen auf weniger Beitragsjahre.
Die Alternative zu künstlich niedrigen Rentenbeiträgen – und damit auch niedrigen Renten – ist: private Altersvorsorge. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen (siehe Mythos 4).
Mythos 4: Wir müssen alle privat vorsorgen
Fakt ist: Wenn die gesetzliche Rentenversicherung weiter geschwächt wird, sind die Menschen gezwungen, die Lücken mit privater Altersvorsorge zu schließen.
Doch kapitalgedeckte Altersvorsorge ist riskant: Dort winken zwar mögliche Gewinne. Doch Verluste sind ebenso möglich – eine wacklige Basis für den Ruhestand. Die Deutsche Rentenversicherung hat dagegen immer ausgezahlt, selbst durch Weltkriege und Hyperinflation.
Viele private Vorsorgeprodukte sind außerdem teuer. Ein Teil des eingezahlten Geldes landet in Form von Gebühren und Provisionen in den Taschen von Versicherungskonzernen.
Außerdem sind bei privater Vorsorge die Arbeitgeber außen vor. Bei den Beiträgen zur gesetzlichen Rente zahlen sie die Hälfte. Das ist wohl der Hauptgrund dafür, dass Arbeitgeberverbände die gesetzliche Rente so hartnäckig schlechtreden.
Mythos 5: Höhere Lohnnebenkosten gefährden Arbeitsplätze
Fakt ist: Der entscheidende Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit sind nicht die Lohnnebenkosten, sondern die Lohnstückkosten. Die Lohnstückkosten geben an, wie viel Lohn gezahlt wird, um eine bestimmte Anzahl von Waren herzustellen. In ihnen sind sämtliche Lohnnebenkosten enthalten, also auch die Rentenbeiträge.
Zentral ist außerdem die Produktivität: Steigt sie – werden also in einer Arbeitsstunde mehr Güter produziert – dürfen auch die Lohnkosten in dem Maße steigen, ohne dass die Lohnstückkosten dadurch zulegen würden.
In punkto Produktivität ist die deutsche Wirtschaft überaus wettbewerbsfähig. Die Lohnstückkosten sind seit dem Jahr 2000 in Deutschland deutlich schwächer gestiegen als in anderen Mitgliedsstaaten des Euroraums und der EU.