Große Allianz für den Stahl
Grüner als sein Ruf

Die deutsche Stahlindustrie hat es nicht einfach. Donald Trumps Zölle auf Importstahl, chinesische Billigkonkurrenz, steigende Kosten für Strom und Emissionszertifikate setzen der Branche zu. Auf dem Stahlgipfel gestern schmiedeten die Bundesländer, die Stahlstandorte haben, eine Allianz.

23. Oktober 201823. 10. 2018


Ein großes Feuerherz haben Vertrauensleute von Saarstahl in Völklingen zusammengeschweißt, um zu zeigen, wie sehr die Herzen der Stahlbeschäftigten für ihr Produkt brennen ― und wie der Stahl sie zusammenschweißt. In Schutzanzügen empfingen drei Vertrauensleute vor der Saarlandhalle mit ihrem Flammenherz rund 2 700 Menschen, die gestern zum „1. Nationalen Stahlgipfel“ nach Saarbrücken gekommen waren.

Einer der Besucher sprang mutig durch den herzförmigen Feuerrahmen: Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Ein gutes Zeichen? Denn was die Arbeitnehmer im Stahl jetzt brauchen, sind Politiker, die mutig und energisch für ihre Sache einstehen: für eine Zukunft des Stahls und damit für die 85 000 Arbeitsplätze in der Branche. Um das klarzumachen, waren die Stahlwerker zum Stahlgipfel genommen. Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) hatte gemeinsam mit der IG Metall und der Wirtschaftsvereinigung Stahl dazu eingeladen, um die Bundesländer mit Stahlstandorten zusammenzuschweißen, also Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Niedersachsen, Brandenburg, Hamburg und Bremen. Gemeinsam sollen sie in Berlin und Brüssel eine Lanze für die Branche brechen.

 

(Foto: Laura Ockenfels / Becker & Bredel)



„Probleme“ gibt es ja in der modernen Wirtschaft nicht mehr, nur „Herausforderungen“. Aber davon hat die Stahlbranche eine ganze Menge zu bewältigen.


Trumps Zölle:

Eine Herausforderung sind die von Donald Trump verhängten Einfuhrzölle. Sie verteuern Stahl aus Europa um 25 Prozent. Zwar liefern deutsche Hersteller in die USA vor allem Spezialstähle, die nirgendwo sonst hergestellt werden, aber trotzdem haben die Preissteigerungen die Exporte in die USA schrumpfen lassen. Hauptsorge der Stahlunternehmen sind allerdings Umlenkungseffekte: die Gefahr, dass andere Länder mit Stahl, den sie in den USA nicht mehr loswerden, auf die europäischen Märkte drängen. Das schafft zusätzlichen Druck auf die Stahlmärkte. Die EU hat darauf mit „Safe Guards“ reagiert: Auch auf Importe in die EU sind jetzt Strafzölle fällig, wenn sie die Importe der vergangenen Jahre übersteigen.


Chinas Billigstahl:

Der faire und freie Wettbewerb ist jedoch nicht erst durch Trumps Abschottungspolitik gefährdet, sondern ― schon seit Jahren ― auch durch staatlich subventionierten chinesischen Dumpingstahl.


Überkapazitäten:

Dies alles trifft die Branche in einer Zeit, in der sie ohnehin unter Überkapazitäten leidet. Die Lage ist allerdings differenziert. Die deutschen Stahlwerke sind zu über 90 Prozent ausgelastet. Weltweit sind sie es jedoch nur zu 70 Prozent.

Teurer Klimaschutz: Die größte Herausforderung ist aber der Klimaschutz. Seit einigen Jahren wehren sich die Stahlunternehmen und -beschäftigten gegen die Regeln im Emissionsrechtehandel. Die Europäische Union (EU) in Brüssel hat die Standards für kostenfreie Zertifikate so hoch gesetzt, dass auch die umwelttechnisch besten Stahlwerke sie kaum erfüllen können. Ab 2020 drohen Milliardenkosten, weil die Betriebe zusätzliche Verschmutzungsrechte einkaufen müssen. „Die Politiker sollten endlich realistisch werden und bei ihren Benchmarks das technisch Machbare zugrunde legen“, sagte gestern ― mit ziemlich viel Wut im Bauch ― Klaus Hering, Betriebsrat bei Arcelor Mittal in Bremen. Er verglich die Probleme im Stahl mit den Grenzwertdiskussionen in der Europäischen Union für die Autoindustrie. Da nur europäische Firmen so teure Umweltauflagen haben, sehen sie sich im internationalen Wettbewerb benachteiligt.


Falsches Image:

Die Stahlbeschäftigten ärgert vor allem der Ruf ihres Industriezweigs. Während die grünen Branchen als Zukunftsindustrien gefeiert werden, sehen die Stahlwerker ihre Branche als schmutzige Altindustrie am Pranger. Völlig zu Unrecht, finden sie. Stahl ist grüner als sein Ruf. Stolz verweisen die Stahlwerker darauf, dass deutscher Stahl der ökologisch sauberste der Welt ist und dass er den Grundstoff für unzählige weitere Produkte liefert, der jetzt und in Zukunft immer gebraucht wird, auch für viele Greentech-Produkte. So bestehen zum Beispiel 85 Prozent der Windräder aus Stahl. Ein unschlagbarer Vorteil ist, dass Stahl zu 100 Prozent recycelt werden kann und damit ein Paradebeispiel für Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit ist.

„Deutscher Stahl ist Spitzenqualität“, sagte Jörg Hofmann, der IG Metall-Vorsitzende, gestern in Saarbrücken. „3,7 Millionen Menschen in der verarbeitenden Industrie in Deutschland machen jeden Tag etwas aus diesem Werkstoff.“ Von wegen Altindustrie. „Der Stahl ist kein Auslaufmodell“, beteuerte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) auf dem Stahlgipfel. „Er ist die Voraussetzung dafür, dass die deutsche Industrie eine Zukunft hat.“


Klimafreundlicher Stahl:

Die Chancen, klimafreundlicher zu werden, sind alles andere als ausgereizt. Vor allem die IG Metall drängt schon lange darauf, mehr in umweltfreundliche Technologien zu investieren, auch um die Zukunftsperspektiven der Stahlindustrie zu verbessern. Jörg Hofmann forderte die Unternehmen auf, Forschungsverbünde zu bilden. „Sie sind der schnellste und erfolgreichste Weg, um Innovationen anzustoßen.“ Es gibt schon einige ehrgeizige Projekte. So arbeiten zum Beispiel Thyssen-Krupp und weitere Industrieunternehmen mit Universitäten und Forschungsgesellschaften an einem Verfahren, die Abgase aus den Hochöfen in Vorprodukte für Kraftstoffe, Kunststoffe und Dünger umzuwandeln. „Carbon2Chem“ heißt das Projekt. Damit sollen 20 Millionen Tonnen CO2, den die Stahlindustrie pro Jahr „produziert“, künftig nicht mehr die Umwelt schädigen, sondern nutzbar gemacht werden. An einem anderen Verfahren arbeitet der Salzgitter-Konzern. Es heißt „Salcos“. Das Ziel ist, das Eisenerz nicht mehr durch Kohlenstoff, etwa Koks, im Hochofen in Roheisen umzuwandeln ― bei diesem Vorgang entsteht das klimaschädliche Treibhausgas CO2 ― sondern Wasserstoff dafür einzusetzen.


Zeit und Geld:

Doch die Stahlindustrie braucht Zeit. Bis diese Technologien in der Industrie anwendbar sind, vergehen noch Jahre. Und sie kosten Geld. Viel Geld. Die Kosten für die Investitionen gehen in die Milliarden. In einem Papier, das die Wirtschaftsminister der sechs Bundesländer mit Stahlstandorten gestern unterschrieben, bekennen sie sich zu mehr staatlicher finanzieller Unterstützung für Investitionen in neue Verfahren, die den Kohlendioxidausstoß mindern.


Beschäftigte mitnehmen:

Jörg Hofmann betonte, dass es wichtig ist, die Beschäftigten bei den anstehenden Veränderungsprozessen mitzunehmen. Sie seien der Treiber von Innovationen. Denn sie haben ein doppeltes Interesse daran, dass die Klimaschutzziele eingehalten werden können: als Bürger, die in einer gesunden Umwelt leben wollen, und als Arbeitnehmer, die eine Zukunft in ihrer Branche haben möchten. Betriebsräte bräuchten mehr Initiativ- und Mitbestimmungsrechte, um Veränderungen anschieben zu können und Weiterbildung der Beschäftigten, die in diesen Prozessen notwendig wird, verbindlich durchsetzen zu können.


Jetzt Taten:

Wer Stahlwerker nach dem Gipfel gestern fragte, wie sie die neue große Allianz bewerten, bekam immer wieder diesen Kommentar zu hören: Eine gute Sache. Aber hoffentlich folgen den Worten der Politiker jetzt auch Taten.

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