10. Engineering- und IT-Tagung
„Künstliche Intelligenz soll die Menschen entlasten“

270 Expertinnen und Experten aus über 80 Betrieben diskutierten auf der diesjährigen Engineering- und IT-Tagung in Köln über Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz. Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, fordert eine frühzeitige Beteiligung der Beschäftigten.

19. September 201819. 9. 2018


Liebe Christiane, die Engineering- und IT-Tagung steht in diesem Jahr ganz im Zeichen von Künstlicher Intelligenz. Betriebliche Akteure, Gewerkschafter und Wissenschaftler diskutieren über Möglichkeiten und Auswirkungen von KI …

Christiane Benner: ... ja, das sind hochspannende, intensive Diskussionen, die wir da gemeinsam führen. Uns allen ist klar: Künstliche Intelligenz ist keine Eintagsfliege, ganz im Gegenteil. Der Einsatz von KI-Systemen schreitet unaufhaltsam voran. Auch wenn der Einsatz solcher Systeme in unserem Organisationsbereich noch am Anfang steht, sehen wir schon jetzt, dass es in vielen Betrieben in fast allen Bereichen Überlegungen und erste Ansätze gibt, wie KI-Anwendungen die Arbeit unterstützen oder ganz übernehmen können. Die Einsatzgebiete von KI sind dabei vielfältig: Sie reichen von digitalen Assistenzsystemen im Bürobereich über Chatbots bei der Kundenbetreuung bis hin zu Anwendungen beim assistierten Fahren. Das Thema ist also heiß. Und wir packen es an.

 

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall


Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall (Foto: Frank Rumpenhorst)



Auf welche Weise?

Wir wollen das Thema in den Betrieben gestalten, zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen von Anfang an bei der Entwicklung und Einführung von KI-Systemen beteiligt werden, sie sind die Expertinnen und Experten, wenn es um die Gestaltung und Entwicklung ihrer Arbeitsplätze geht. Gemeinsam mit den Beschäftigten wollen und werden wir die Herausforderungen, die sich mit KI stellen, frühzeitig erkennen und offensiv unsere Forderungen auf die Agenda setzen. Das ist wichtig. Wir klinken uns in die Debatte ein. Wir sind in der Plattform „Lernende Systeme“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung dabei. Wir sind, zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von Ver.di, Partner eines Forschungsprojekts zum Einsatz von KI in der Sachbearbeitung. Das ist wichtig. Und wichtig ist auch: Wir haben präzise Forderungen an die Politik. Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Chancen, die aus der Verwendung von KI-Anwendungen entstehen, für die Beschäftigten nutzen und die Risiken minimieren.

Welche Chancen entstehen mit dem Einsatz von KI?

Eine ganze Reihe. KI-Systeme können Beschäftigte beispielsweise entlasten und Freiräume für höherwertige Tätigkeiten schaffen, etwa, wenn sie Routinearbeiten etwa von Sachbearbeitern in der Personalabteilung übernehmen, gewisse Tätigkeiten, die nahezu keinen Gestaltungsspielraum haben, die monoton sind und anstrengend.

Gibt es bereits betriebliche Beispiel?

Ja, gibt es. Bei Präzisionsoptik Gera etwa wird überlegt, die Auftragsbearbeitung, durch eine KI zu unterstützen. Früher gab es Lieferschein und Rechnung, fertig. Heute braucht es viel mehr. Das Erfassen von individuellen Kundenwünschen bei der Verpackung ist nötig, die Vorbereitung der Dokumente für die Zollabwicklung, die lückenlose Dokumentation der Abwicklung, Qualitätszertifikate müssen vorbereit und übermittelt werden. Bei all diesen Tätigkeiten kann KI unterstützen. Was alles möglich ist, sieht man gut im „Data Lab“ von VW. Experten beschäftigen sich hier mit maschinellem Lernen und Algorithmen, die sich selbst etwas beibringen. Lernende Systeme können Facharbeitern helfen, verzweigte Logistik- und Produktionsprozesse noch besser zu steuern. Sie können komplexe volkswirtschaftliche Entwicklungen analysieren, um Experten in der Marktplanung umfassendere Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Roboter und Maschinen in der Werkshalle könnten lernen, eigene Wartungszyklen vorherzusagen und den Instandhalter zu informieren. Das sind riesige Möglichkeiten, die sich da auftun. Aber wichtig zu sehen ist: Die Chancen, die KI bietet, verwirklichen sich nicht von selbst. Das alles geschieht nicht von alleine. Es muss von uns gestaltet werden. Genauso wie die Digitalisierung.

Digitalisierung kann und muss gestaltet werden.

Ja, absolut. Mich stört immer, wenn so getan wird, als sei Digitalisierung irgendetwas Unbeherrschbares, Außerirdisches, Außerterrestrisches, etwas, das wie eine Naturkatastrophe plötzlich auftaucht und sich vollständig unbeherrschbar vollzieht. Dem ist nicht so, ganz im Gegenteil: Wenn wir von Digitalisierung sprechen, dann sprechen wir von Prozesse, die geleitet, von Dynamiken, die kanalisiert, von technologischen Neuerungen, die in die eine oder in die andere Richtung gestaltet werden können. Unsere Aufgabe ist es, die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten zu gestalten.

Wie kann das gelingen?

Es braucht ein Bündel von Maßnahmen. Ich habe dazu einen Fünf-Punkte-Plan für innovative Mitbestimmung in der Industrie 4.0 vorgeschlagen und flächendeckend einen sogenannten Betriebsatlas über die Auswirkungen der Digitalisierung und die Einsatzmöglichkeiten von KI. Wir wollen in jedem Betrieb vermessen, in welchen Bereichen und Abteilungen digitale Technik eingeführt wird, damit Betriebsräte und Beschäftigte wissen, was bei ihnen in Sachen Digitalisierung geschieht. Weiterhin gehört vorausschauende Qualifizierung dazu, der Schutz der Beschäftigtendaten, der Schutz vor physischer und psychischer Belastung sowie schließlich die garantierte Beteiligung der Beschäftigten. Wir brauchen gute digitale Arbeit.

Wie kann das erreicht werden?

Indem wir auf allen Ebene möglichst früh ansetzen! Unsere Antwort auf die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz heißt kritische Intelligenz. Deshalb müssen Betriebsräte über KI-Anwendungen, die die Beschäftigten direkt betreffen, informiert werden und über ihren Einsatz mitbestimmen können. Nur so können sie zusammen mit den Beschäftigten frühzeitig in die Gestaltungsphase kommen. In jeder einzelnen Abteilung muss ermittelt werden, ob und wo KI-Systeme eingesetzt werden – und welche Auswirkungen das auf Arbeitsplätze, Tätigkeitsprofile und Qualitätsanforderungen hat.

Und was passiert, wenn diese Informationen vorliegen?

Eine vorausschauende Qualifikation der Kolleginnen und Kollegen ist unabdingbar. Der Einsatz von KI verändert Tätigkeitsprofile und Arbeitsanforderungen. Die Beschäftigten müssen neue Fähigkeiten und neue Fertigkeiten erwerben. Dafür müssen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Oder rechnet jemand ernsthaft damit, dass eine Million Software-Entwickler einfach vom Himmel fallen? Unsere Tarifverträge zur Qualifizierung und Bildung sind ein gutes Instrument der digitalen Transformation, weil sie verbindliche Ansprüche bei der Weiterbildung für die Beschäftigten schaffen. Sie müssen noch stärker in den Betrieben genutzt werden. Auch die Bundesregierung reagiert darauf, dass sich Tätigkeiten von Beschäftigten durch Technologien verändern und sie Qualifizierung brauchen. Das „Qualifizierungschancengesetz“, das heute vom Kabinett verabschiedet werden soll, ist gut und richtig, weil damit Beschäftigte unabhängig vom Alter, der Betriebsgröße und des Ausbildungsstandes weiterqualifizieren können. Allerdings braucht es auf diesem Gebiet deutlich mehr finanzielle Mittel und bessere Voraussetzungen für Qualifizierungsmaßnahmen in den Betrieben.

Braucht es denn mehr Qualifizierung, wenn KI-Systeme immer besser auch komplizierte Tätigkeiten erledigen können?

Halt, halt, halt. KI-Anwendungen sollen die Beschäftigten bei ihren Aufgaben unterstützen und Entscheidung vereinfachen, das schon. Sie sollen aber um Himmels Willen nicht allein die Entscheidung fällen. Entscheidungen der KI müssen dazu nachvollziehbar sein. Es braucht faire Arbeitsbedingungen in der KI-Entwicklung. Und es müssen in der Entwicklung bereits die Menschen beteiligt werden, die später mit den Anwendungen arbeiten sollen. Auch, damit sichergestellt ist, dass das Thema Datenschutz nicht zu kurz kommt.

Ein wichtiges Thema bei der Einführung von KI-Systemen.

Ein extrem wichtiges Thema. Kern jeder KI-Anwendung sind nun mal Daten. Wir müssen deshalb extrem darauf achten, dass erhobene Daten nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle missbraucht werden. Nur weil ein System technisch dazu in der Lage ist, Aufgabenfortschritte in Echtzeit zu visualisieren oder die Produktivität der Kolleginnen und Kollegen zu messen und zu vergleichen, heißt das nicht, dass wir dies akzeptieren. Wir müssen zudem darauf achten, dass KI-Systeme faire Bedingungen für Vielfalt fördern. Diskriminierung durch den Algorithmus oder durch einseitige Datensätze, die Vielfalt nicht abbilden, müssen verhindert werden. Nicht zuletzt: Ganz im Sinne des Mitarbeiterdatenschutzes wäre es, wenn ein Beschäftigten-Datenbrief Pflicht würde. Der Arbeitgeber müsste alle Beschäftigten einmal im Jahr darüber informieren, welche Daten er erhebt und wie er diese verwendet. Auf diese Weise kann auch der Betriebsrat überprüfen, ob alle erhobenen Daten in Betriebsvereinbarungen geregelt sind und überall tatsächlich Leistungs- und Verhaltenskontrollen ausgeschlossen wurden.

Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen