Vor 40 Jahren
Legendärer Streik: So hart lief der Kampf für die 35-Stunden-Woche

Sieben Wochen Arbeitskampf plus Aussperrung und Gerichtsprozess: Der Streik für die 35-Stunden-Woche war einer der härtesten in der Geschichte der IG Metall. Am 14. Mai 2024 jährt sich der Streikbeginn zum 40. Mal. Wir werfen einen Blick zurück.


Fast sieben Wochen lang streiken 1984 die Beschäftigten in der westdeutschen Metallindustrie. Ihr Ziel: die Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden in der Woche. Arbeit soll menschlicher werden.

Außerdem will die IG Metall durch die geringere Stundenzahl Arbeitsplätze für die 2,5 Millionen Erwerbslosen schaffen. „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“, so lautet das Motto des Streiks.

Genau wie heute sind die Arbeitgeber strikt gegen kürzere Arbeitszeiten. „Keine Minute unter 40 Stunden“ ist ihre Ansage. Die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Medien sind auf ihrer Seite. Die größte soziale Machtprobe der Nachkriegszeit bahnt sich an.


Startschuss im Südwesten

Der Streik beginnt am 14. Mai 1984 im Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden, in Hessen eine Woche später. 57 500 Beschäftigte in 23 Betrieben legen die Arbeit nieder und versammeln sich vor den Werkstoren. Streiktage werden zu Streikfesten, bei denen Bands und Tanzgruppen aller Nationalitäten auftreten.

„Wir haben bei uns viel gesungen. Regelmäßig kamen Leute aus anderen Betrieben und Organisationen vorbei“, erzählt Doris Werder, die damals sechseinhalb Wochen bei Honeywell im hessischen Maintal streikt. „Wir haben im Vorfeld im Betrieb lange diskutiert und wussten: Wenn wir selbstbewusst herangehen, können wir es schaffen.“

500 000 Beschäftigte sind ausgesperrt

Und sie halten durch. Obwohl sie es in der Öffentlichkeit oft schwer haben. Doris Werder verteilt an Infoständen in Hanau Flugblätter und muss sich dabei einiges anhören: „Es gab einzelne Stimmen, die uns ‘Ihr Faulenzer, geht was schaffen’ oder Ähnliches an den Kopf geworfen haben. Da musstest Du Nerven wie Stahlseile haben. Aber wenn wir mit den Leuten ins Gespräch gekommen sind, haben sie unsere Argumente auch verstanden.“

Die Arbeitgeber kontern den Streik eiskalt: mit Aussperrung. Sie setzen Beschäftigte ohne Lohn vor die Tür. Zuerst 155 000 in den umkämpften Tarifgebieten Nordwürttemberg/Nordbaden und Hessen, wo die IG Metall Streikgeld zahlt. Dann auch Beschäftigte außerhalb der Kampfgebiete – obwohl diese „kalte Aussperrung“ juristisch umstritten ist.

Streik bedingte Produktionsausfälle – so heißt es offiziell zur Begründung. Bald stehen eine halbe Million Ausgesperrte vor den Toren, zehnmal so viele wie Streikende.


Kalt Ausgesperrte sollen kein Geld bekommen

Und die Aussperrer haben Helfer: Normalerweise zahlt das Arbeitsamt bei Produktionsausfall Kurzarbeitergeld. Doch der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, verfügt überraschend: „Um den Arbeitskampf zu verkürzen“ gibt es kein Geld für die kalt Ausgesperrten.

Die IG Metall klagt gegen den sogenannten Franke-Erlass. Streikgeld für eine halbe Million Ausgesperrte – das hätte die Gewerkschaft rasch ausbluten lassen.

„Die Arbeitgeber wollten die IG Metall kaputt machen. Und der Franke hat ihnen geholfen“, sagt Ernst Rau, damals Betriebsratsvorsitzender beim Autozulieferer Roth im badischen Gaggenau. Fünf Wochen lang ist er mit 900 Kolleginnen und Kollegen kalt ausgesperrt.

Doppelt hart: Die Rothler, die zum Tarifgebiet Südbaden gehören, teilen sich ihr Streiklokal in der Gaggenauer Merkurhalle mit den Metallerinnen und Metallern des Mercedes-Werks Gaggenau, das zum Kampfgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden gehört. „Wir konnten zusehen, wie die Benzler ihr Geld in die Hand gezählt bekamen“, erzählt Rau. „Doch die Leute haben mir vertraut, dass wir eine Lösung finden. Und sie waren stinksauer auf den Franke.“


„Die haben schnell die Bürotüren zugeschlossen“

Überall in der Republik gehen Tausende gegen die Aussperrung auf die Straße. Am 28. Mai kommen 250 000 Menschen in 3300 Bussen und 51 Sonderzügen in die Bundeshauptstadt Bonn und demonstrieren im strömenden Regen. Die Rothler aus Gaggenau sind dabei.

In vielen Städten protestieren Ausgesperrte vor den Werkstoren, einige auch im Betrieb und vor den Arbeitsämtern. Auch die Rothler marschieren zum Amt in Gaggenau. „Die haben schnell die Bürotüren zugeschlossen, als wir die Treppen heraufkamen“, erzählt Rau. „Der Chef des Arbeitsamts hat dann mit uns geredet und erklärt: ‘Ich kann Euch nichts zahlen’.“

Rau ist rund um die Uhr auf den Beinen, ebenso wie Tausende andere Betriebsräte und Metaller: Sie schreiben Flugblätter und Infobriefe, organisieren Aktionen, verhandeln mit Vermietern und Banken und verteilen Spenden. Gewerkschafter aus ganz Europa zeigen sich solidarisch mit den kämpfenden Metallern.

Am 21. Juni endlich erklären die Gerichte den Franke-Erlass für rechtswidrig. Das Arbeitsamt muss das Kurzarbeitergeld auszahlen. Fünf Tage später kommt schließlich auch die Einigung im Tarifkonflikt, durch Schlichtung des ehemaligen Verteidigungsministers Georg Leber (SPD).

Ergebnis: Verkürzung der Arbeitszeit auf 38,5 Stunden, dafür flexiblere Arbeitszeiten. Die 40-Stunden-Mauer ist durchbrochen, gegen alle Widerstände. Bis 1995 sinkt die Arbeitszeit in der westdeutschen Metallindustrie schrittweise auf 35 Stunden.

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