Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Gemeinsam für faire Lieferketten – IG Metall zu Besuch in Pakistan

Das deutsche Lieferkettengesetz soll Arbeitsbedingungen bei Zulieferern aus dem Ausland verbessern. Miriam Bürger von der IG Metall macht sich gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze in Pakistan ein Bild von der Einhaltung des Gesetzes.

9. Oktober 20249. 10. 2024


Es ist Ende August, als Miriam Bürger in den Regierungsflieger steigt. Die Tarifsekretärin für Textile Branchen der IG Metall tritt ihre Reise gemeinsam mit Mitgliedern des Bundestages und Vertretern deutscher Unternehmen an. Das Ziel liegt tausende Kilometer entfernt und ist ein wichtiges Produktionsland für Textilien: Pakistan.

Eingeladen hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Zusammen mit der Ministerin verbringt die Delegation drei Tage in dem südasiatischen Land. Dabei soll sich alles rund um die Themen Textilindustrie sowie nachhaltige und faire Lieferketten drehen. „Wir haben in den Tagen Betriebe besucht, mit Beschäftigten und Gewerkschafterinnen gesprochen“, berichtet Miriam Bürger. „Der Fokus der Reise war, sich über die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetz in Pakistan zu informieren.“

 

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Theorie wird Realität?

Seit Anfang 2023 ist das Gesetz mit dem langen Namen in Kraft. Es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in globalen Lieferketten. Denn Kinderarbeit, gefährliche Arbeitsplätze und die Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit sind in den weltweiten Lieferketten keine Seltenheit. „Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz werden multinationale Unternehmen mit Sitz in Deutschland erstmals verbindlich in die Verantwortung genommen. Denn wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen haben Auswirkungen, die vielleicht erst einmal nicht intendiert sind, aber trotzdem stattfinden“, erklärt Romy Siegert, bei der IG Metall zuständig für Gewerkschaftspolitik in Asien. „Zu sagen: Wir können da nichts machen, es handelt sich um die Verantwortung unserer Zulieferer, ist mit dem Gesetz so nicht mehr drin“, führt Romy aus.

Multinationale Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten sind durch das Gesetz verpflichtet, menschenrechtliche und umweltschutzbezogene Risiken zu analysieren. Sie müssen daraus Präventions- und Abhilfemaßnahmen entwickeln, Beschwerdemöglichkeiten einrichten und über ihre Aktivitäten berichten.

Wie genau sich das in der Praxis umsetzen lässt, konnte sich Miriam Bürger gemeinsam mit der Ministerin in Pakistan anschauen. „Wir haben einen Betrieb besucht, in dem ein Programm zum Thema Arbeitssicherheit auf den Weg gebracht wurde. Beschäftigte wurden qualifiziert und zu Sicherheitsbeauftragten ausgebildet“, erzählt Miriam. Oft sind es vermeintlich simple Maßnahmen, die die Arbeitssicherheit verbessern - wie das Aufstellen von Ventilatoren bei über 40 Grad in den Fabrikhallen oder die Bereitstellung von ausreichend Trinkwasser. „Mit solchen Maßnahmen lassen sich die Arbeitsbedingungen schon gravierend verbessern. Und so geht es dann immer weiter. In kleinen Schritten - wie bei uns in den Betrieben auch.“  

 

Mit kleinen Schritten hin zu fairen Lieferketten

Es sind Programme zum Thema Arbeitsschutz, gezielter Frauenförderung oder die faire Bezahlung von Beschäftigten, die Miriam in Pakistan zeigen: Das Lieferkettengesetz hat Auswirkung auf die Beschäftigten in Pakistan. Im Austausch mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern vor Ort wird aber auch deutlich: Neben den positiven Einzelbeispielen gibt es auch weiterhin eine Vielzahl an Problemen.

Eines davon ist die große Anzahl an undokumentierter Arbeit. Über 90 Prozent der Arbeit in Pakistan findet ohne Arbeitsvertrag statt. „Für „Undokumentierte“ gibt es keine Möglichkeit, Rechte geltend zu machen, keine Sozialversicherung, kein Recht auf Vergütung. Es ist eine komplett rechtlose Situation“, berichtet die Tarifsekretärin. Und selbst wenn die Unternehmen im Rahmen der Einhaltung des Lieferkettengesetzes genau das überprüfen, wird die Situation vieler Beschäftigter oft nicht erfasst. Eine Mischung aus Stammbelegschaft und Beschäftigten von Drittfirmen führt dazu, dass bei der Überprüfung nicht auffällt, dass ein hoher Anteil der Arbeit ohne Arbeitsvertrag stattfindet. „Wenn die Menschen keine Arbeitsverträge haben, lässt sich überhaupt nicht sicherstellen, ob Arbeitsstandards überhaupt eingehalten werden“, erzählt Bürger und fordert: „Das muss besser erfasst werden!“

 

Herausforderungen für Gewerkschaften

Im Gespräch mit den pakistanischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern wird außerdem deutlich: Die große Anzahl an undokumentierter Arbeit erschwert es ihnen, die Beschäftigten zu organisieren. Zwar müssen die Unternehmen nach dem Lieferkettengesetz Maßnahmen ergreifen, um sicher zu stellen, dass ihre Zulieferer die Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer gewährleisten. Doch die fehlenden Arbeitsverträge erschweren die Bildung von Beschäftigtenvertretungen. Denn die Angst vor einem Jobverlust schreckt viele Beschäftigte davon ab, sich zu engagieren oder einer Gewerkschaft beizutreten.

„Der geringe Organisationsgrad der Gewerkschaften in Ländern wie Pakistan, wo es gesetzliche Einschränkungen, hohe Hürden für die Etablierung von Gewerkschaften sowie ein restriktives Streikreicht gibt, macht es unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort schwer, Verbesserungen voranzutreiben und den Arbeitgebern wirkmächtig entgegenzutreten“, erklärt Romy Siegert. Dabei ist eine nachhaltige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten nur durch Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften möglich. „Daher ist es wichtig, dass wir nicht weggucken. Dass wir in den Betrieben in Deutschland, wo das Gesetz umgesetzt werden muss, Druck machen, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung auch wirklich nachkommen“, betont Miriam Bürger. „Im Grunde sind das dort ja auch unsere Kolleginnen und Kollegen. Ohne sie könnten wir auch hier in Deutschland kein Geld verdienen.“


Weiterführende Informationen

Mitbestimmung macht was?! Podcast zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Mehr zu „Europa & Internationales“ im Aktivenportal
Näherinnen in Südostasien

Menschenrechte und Umwelt schützenLieferkettengesetz nimmt Fahrt auf - auch in ganz Europa

Immer mehr Unternehmen müssen das Lieferkettengesetz in Deutschland beachten. Der Schwellenwert sinkt von 3000 auf 1000 Beschäftigte. Auch auf europäischer Ebene gibt es neue Entwicklungen. Außerdem findet Ihr hier einen Podcast-Link zur aktuellen Debatte.

Initiative von IG Metall und Amnesty InternationalUnterstützungsaktion für Sharifeh Mohammadi - Todesurteil aufgehoben - Wir fordern: Freilassung!

Die Aktivistin für Arbeitnehmerrechte, Sharifeh Mohammadi, muss sofort und bedingungslos freigelassen werden. Nach der Aufhebung des Todesurteils dürfen wir jetzt nicht locker lassen! Sie braucht weiter unsere Solidarität!

Freiheit für belarusische Gewerkschafter

Belarus„Sie bringen Palina langsam um“

Der Ehemann der Gewerkschafterin Palina Sharenda-Panasiuk hat Angst um das Leben seiner Frau. Sie ist in Belarus eingekerkert, schwer erkrankt und befindet sich mittlerweile in Lebensgefahr. Die IG Metall appelliert an alle Kolleginnen und Kollegen: Setzt Euch weiter für Palinas Freiheit ein.

Hände klammern sich an Stangen einer Gefängniszelle

Gewerkschaftsrechte internationalPostkartenaktion Freiheit für Gewerkschafter

Im Rahmen der 1. Mai-Veranstaltung in Frankfurt wurden über 500 Postkarten mit der Forderung nach Freilassung der inhaftierten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Belarus sowie Kambodscha unterzeichnet. Wenn Ihr euch noch an der Aktion beteiligen wollt, könnt Ihr die Postkarten betellen.

Europawahl 2024: Gute Arbeit? Besser mit Europa.

 9. Juni 2024Europawahl 2024

Anfang Juni wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (EU) zum zehnten Mal das Europäische Parlament. Wir bieten Hintergrundmaterial dazu an.

Streik bei General Motors in den USA

Erfolgreicher Arbeitskampf in den USAHistorisches Ergebnis nach sechs Wochen Streik

Die Autowerker in Amerika bestreikten die großen Hersteller über sechs Wochen und setzten eine Lohnsteigerung von 25 Prozent mehr Lohn durch. Der Präsident der Gewerkschaft UAW Shawn Fain erklärt die Streiks damit für beendet.

Streik bei General Motors in den USA

Größter Streik der Autoarbeiter in den USA„Die Leute haben die Gier der Konzerne satt“

In den USA läuft derzeit ein historischer Tarifkonflikt mit weitreichenden Auswirkungen. Die Autogewerkschaft UAW fordert 36 Prozent mehr Entgelt für die nächsten vier Jahre. UAW-Präsident Shawn Fain über die Ziele des Arbeitskampfes.

Leiharbeit, Banner, Schild, Demo, fair, Fairness

Prekäre Beschäftigung bekämpfenMit der IG Metall für faire und gute Arbeit weltweit

Prekäre Beschäftigung nimmt weltweit zu. Die IG Metall stellt sich dagegen. Nicht nur in Deutschland. Am 7. Oktober ist der internationale Tag gegen prekäre Beschäftigung.

IndustriALL Midterm Conference 2023

IndustriALL Global UnionDie wachsende Ungleichheit bekämpfen

Die Macht der Gewerkschaften stärken und einen gerechten Übergang gestalten. Das waren die zentralen Themen des Gewerkschaftsverbandes IndustriALL Global Union in Kapstadt unter Beteiligung der IG Metall.

Gefängnismauer mit Stacheldraht

Rettet Guillermo Zárraga!Inhaftierter Gewerkschafter in Venezuela in Lebensgefahr

Der venezolanische Gewerkschafter Guillermo Zárraga ist in Haft. Er bekommt zu wenig Essen und Trinken. Sein Gesundheitsstatus ist alarmierend. IG Metall und Amnesty International wollen ihn retten. Schreibt an die Botschaft von Venezuela!

Hände klammern sich an Stangen einer Gefängniszelle

Gewerkschafter in Belarus befreienHolt Gewerkschafter in Belarus aus dem Gefängnis!

In Belarus sitzen über 30 unabhängige Gewerkschafter in Haft. Eine Postkartenaktion für ihre Freilassung macht jetzt Druck. Helft dabei, die Unschuldigen aus dem Gefängnis zu holen.

Einsame Ladesäulen warten auf E-Autos

Gemeinsame ErklärungIG Metall, UAW und Weltkonzernbetriebsrat begrüßen den Bau eines neuen VW-Werks in South Carolina

Im neuen VW-Werk in South Carolina sollen unter der US-Traditionsmarke Scout Motors elektrifizierte Fahrzeuge produziert werden. Diese Investition schafft Tausende neue Industriearbeitsplätze und wird die Transformation in Richtung Elektromobilität weiter vorantreiben.

Schwerpunktthemen

Metall-News für...