Ruben, Du bist als Betriebsrat massiv angegriffen worden. Was ist passiert?
Ruben Trautmann: Ich wurde ständig angebrüllt und sogar getreten. Unsere Personalchefin hat mich jeden Tag ins Büro gerufen und mich bis zu sechs Stunden lang ihrer Gehirnwäsche ausgesetzt: Wie mächtig sie sei – und wie sie mich fertig machen wird. Dabei hat sie mich auch mal am Kragen gepackt und zweimal ans Schienbein getreten. Sie und der Werkleiter haben gedroht, ich würde deutschlandweit keinen Job mehr bekommen und auf der Straße landen. Sie würden jeden künftigen Arbeitgeber anrufen und ihm sagen, was ich für einer bin. Der Werkleiter hat die Belegschaft zusammengetrommelt, um mich vor versammelter Mannschaft zu beschimpfen, als Dieb oder Spitzel der IG Metall. Den Tarifvertrag wollte ich ja angeblich nur durchsetzen, um mich in einen Job in der IG Metall einzukaufen – und dafür meine Kollegen verkaufen, die alle arbeitslos würden, weil sie dann schließen müssten.
Warum haben die das mit Dir gemacht? Was war mit den anderen Betriebsräten?
Ich und mein heutiger stellvertretender Betriebsratsvorsitzender waren damals die einzigen, die wirklich Betriebsratsarbeit gemacht haben. Der Rest hat gemacht, was der Chef will. Wenn ich etwas gesagt habe – von wegen Mitbestimmung und dass wir nicht dazu da sind, um alles abzunicken – hat der damalige Betriebsratsvorsitzende den Werkleiter geholt, der dann im Betriebsratsbüro herumgebrüllt hat. Und dann wurde so abgestimmt, wie die Werkleiter das wollte.
Warum hast Du Dir das angetan? Warum bist Du vor viereinhalb Jahren überhaupt Betriebsrat geworden?
Die Arbeit bei uns war damals knochenhart. Bevor ich in die Qualitätssicherung kam, war ich ein halbes Jahr lang Packer. Wir verpacken CKD-Autobausätze für den Export für Audi, für damals deutlich unter zehn Euro. Und die Teamleiter brüllten die Leute zusammen, sie sollten schneller arbeiten. Diese tägliche Brüllerei und die stete Antreiberei der Kollegen machten klar: Hier muss irgendjemand etwas ändern.
Und dann ging der Ärger gleich los?
Am Anfang hatte ich noch keine Ahnung. Doch nach einigen Monaten habe ich den damaligen Betriebsratsvorsitzenden überredet, dass ich auf eine Schulung gehen kann – als einziger im Betriebsrat mit meinem heutigen Stellvertreter. Dort habe ich viel gelernt und gemerkt, dass bei uns im Betrieb vieles nicht richtig läuft: Kündigungen, hohes Arbeitspensum, Gebrüll. Und der Chef macht, was er will. Wirklich schlimm wurde es, als ich erstmals einer Kündigung widersprochen habe, die der damalige Betriebsratsvorsitzende unrechtmäßig alleine unterzeichnet hatte. Da wollten sie mich sogar meines Betriebsratsamtes entheben.
Heute bist Du Betriebsratsvorsitzender – und Ihr habt sogar einen Tarifvertrag. Wie hast Du das gemacht?
Einige Monate nach meinem Amtsantritt, es war im Herbst 2014, bin ich durch den Betrieb gelaufen und habe mit Kollegen über einen Tarifvertrag und die IG Metall geredet – und darüber, wie die Arbeitsbedingungen in anderen Betrieben sind. Innerhalb von zwei Monaten ist über die Hälfte der Belegschaft in die IG Metall eingetreten – und Torsten Gröger, unser heutiger IG Metall-Bezirksleiter, hat das Unternehmen zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Außerdem hat Torsten dem arbeitgebernahen Betriebsrat ein Ultimatum gestellt: Er soll wegen Pflichtverletzung zurücktreten. Im Frühjahr 2016 hat dann beides geklappt: Nach einem Warnstreik haben wir unseren Tarifvertrag durchgesetzt. Kurz danach hatten wir Neuwahlen – und ich wurde mit großer Mehrheit zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.
Wie hast Du den Horror davor so lange durchgehalten?
Ich habe täglich mit der IG Metall und unserem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden telefoniert. Das hat mir die Sicherheit gegeben, dass mir der Chef in Wahrheit nichts tun kann – und dass das mit den Abmahnungen und dem Amtsenthebungsverfahren juristisch aussichtslos und nur Bluff ist. Also bin ich cool geblieben. Über meinem Schreibtisch habe ich ein Plakat von Rocky (der Boxer aus den Filmen) mit dem Zitat: „Es kommt im Leben nicht darauf an wie viel Du austeilst, sondern darauf, wie viel Du einstecken kannst. wie viel du einstecken kannst und trotzdem weiter machst. Das ist es, wie man gewinnt.“ Jedes Mal, wenn ich hoch zum Chef zum Anbrüllen musste, habe ich die Rocky-Titelmelodie gesummt. Und bei Versammlungen, wo mich der Chef beschimpft hat, habe ich die Rocky-Faust hochgehalten. Die Kollegen haben das aufgenommen: Wenn ich durch die Reihen in den Werkshallen ging, reckten die Kollegen die Faust, um mich zu unterstützen. Beim Warnstreik standen auch alle draußen.
Und jetzt ist alles okay?
Es ist viel besser – aber immer noch nicht alles gut: Die Geschäftsführung gibt uns nur spärliche oder falsche Informationen und hält sich nicht an Vereinbarungen. Uns wird öffentlich vorgehalten, dass der Betriebsrat angeblich zu viel kostet. Unsere Schulungen werden nicht bezahlt. Wir sollen die Kosten selbst tragen. Die Arbeit ist immer noch knochenhart. Vor kurzem habe ich die Berufsgenossenschaft geholt – und die hat festgestellt: Ein Großteil der Beschäftigten ist körperlichen Überbelastungen ausgesetzt, die nach Maßstab der Berufsgenossenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Gesundheitsschäden führen. Das Unternehmen hat nun die Auflage bekommen, ein Konzept für leichtere Packer-Arbeitsplätze vorzulegen und eine Gefährdungsbeurteilung zu machen. Dazu haben wir gerade eine Betriebsvereinbarung ausgehandelt. Aber die Anbrüllerei ist vorbei. Der Werkleiter und die Personalchefin sind übrigens auch beide weg.
Wie schaust Du heute auf die letzten viereinhalb Jahre als Betriebsrat zurück?
Es lohnt sich durchzuhalten und niemals aufzugeben, auch wenn scheinbar alle gegen dich sind. Lebe für deine Visionen und Ziele und lasse sie dir von niemandem wegnehmen. Nach all den Jahren des Kampfes haben wir heute so viel erreicht.
Mittlerweile haben wir einen sehr guten Betriebsrat, der ausschließlich aus Mitgliedern der IG Metall besteht und die auch alle in unserer Tarifkommission im Betrieb waren. So langsam werden auch die ersten Versuche seitens der Geschäftsleitung unternommen, sich dem Betriebsrat anzunähern. Auch auf der Ebene der Bundesgeschäftsleitung fängt so langsam ein Umdenken an. Darüber bin ich sehr froh und blicke voller Hoffnung in die Zukunft.