Gastkommentar von Christiane Benner
Mehr Tempo, bitte!

Vor allem junge Menschen wollen sich nicht mehr zwischen Familie oder Karriere entscheiden müssen. Es gilt deshalb, beides zu verbinden, schreibt Christiane Benner im Gastkommentar für das „Handelsblatt“. Von der Gleichstellung verspricht sie sich den größeren Erfolg.

8. März 20188. 3. 2018


Angela Merkel handelt entschlossen. „Wer die Besten will, kann auf Frauen nicht verzichten“, diesen Leitspruch von uns IG Metall-Frauen hat sie sich längst zu eigen gemacht. Die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist ihr jüngster Coup. Es braucht beherzte Frauen, damit wir das Schneckentempo bei der Frauenförderung überwinden! Ginge es weiter wie bisher, würde es laut Global Gender Gap Report 2017 weitere 100 Jahre dauern, bis Gleichstellung weltweit erreicht ist.

Vor 100 Jahren haben Frauen in Deutschland das Wahlrecht für sich erkämpft. Auch das feiern wir beim Internationalen Frauentag am 8. März. Der Anteil der Frauen, den die Gewerkschaften für Aufsichtsräte stellen, liegt inzwischen bei fast 30 Prozent. Gleiches gilt auch für Frauen in Führungspositionen innerhalb der Gewerkschaften. Gelungen ist das mit einer breiten Diskussion und einer Quote. Die Quote bietet eine klare Orientierung, inwieweit wir unsere Ziele erreicht haben. Und sie befördert den Kulturwandel, den wir – parallel zum gesellschaftlichen Trend – vollziehen. Trotzdem bleibt, auch bei Gewerkschaften, noch viel zu tun.

Längst ist es ein dringender Wunsch von Männern wie Frauen, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Ja, das gilt auch für die Männer. Viele Beschäftigte wünschen sich, ihre Arbeitszeit temporär absenken zu können. Die Mehrheit von ihnen kann sich aber oft keine Arbeitszeitverkürzung leisten. Deshalb haben Gewerkschaften und Arbeitgeber in den jüngsten Tarifabschlüssen vereinbart, dass die Beschäftigten neben Geld auch eine Wahloption für freie Tage haben.

In der Metall- und Elektroindustrie haben Beschäftigte mit Tarifvertrag einen Anspruch auf eine verkürzte Vollzeit für bis zu 24 Monate. Danach haben sie das Recht, zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückzukehren. So bleibt niemand nach der Reduzierung der Arbeitszeit in der „Teilzeitfalle“ stecken, in der bisher vor allem Frauen gefangen sind. Alle Beschäftigten erhalten ab 2019 ein tarifliches Zusatzgeld. Wer Kinder erzieht, Angehörige pflegt oder in belastender Schicht arbeitet, der kann zwischen diesem Zusatzgeld oder zusätzlichen freien Tagen wählen.

Das ist ein großer Schritt für mehr Gleichstellung. Für Männer und Frauen wird es leichter, zeitweise kürzer zu arbeiten. Durch das gesicherte Rückkehrrecht zur ursprünglichen Arbeitszeit wird der oft gefürchtete Karriereknick vermieden. Auch die Unternehmen profitieren davon und werden so für Fachkräfte attraktiv.

Das dringend nötige Fachwissen bleibt in den Betrieben, wenn die Menschen ihre Arbeit an der jeweiligen Lebenssituation ausrichten können. Vor allem junge Menschen wollen sich nicht mehr zwischen Familie oder Karriere entscheiden müssen. Es gilt, beides zu verbinden.

Wer die gut ausgebildete und selbstbewusste Generation Y gewinnen will, muss diese neuen Mentalitäten berücksichtigen. Laut der letzten Shell-Jugendstudie stimmen neun von zehn Jugendlichen der Aussage zu, dass Familie und Kinder nicht zu kurz kommen dürfen.

Die Antwort sind selbstbestimmte Arbeitszeiten als wichtiges Element einer zeitgemäßen Gleichstellungspolitik. Die gibt es jetzt, und deshalb ermuntere ich ausdrücklich junge Frauen, sich jetzt erst recht für einen Arbeitsplatz in den tarifgebundenen Betrieben der Industrie zu bewerben.

Da bin ich mit der Arbeitgeberseite sehr einig. Auf geht’s Frauen: ran an die ehemaligen Männerdomänen! „Flexibilität und Sicherheit“ – das ist zugleich die Formel, mit der wir die Transformation von Industrie und Dienstleistung bewältigen können. Die Digitalisierung und der technologische Wandel führen zu großen Veränderungen. Aber was hat das mit Gleichstellung und Tarifverträgen zu tun? Sehr viel.

Im digitalen Zeitalter sind immer weniger Standardarbeiten gefragt, sondern viel mehr Lösungen für einzigartige Kundenanforderungen. Neben den fachlichen Skills sind verstärkt Kreativität, Empathiefähigkeit und eigenständiges Denken erforderlich. Das kann man nicht verordnen, sondern es entwickelt sich nur unter passenden Voraussetzungen.

Ein inspirierendes Arbeitsumfeld, ein sicherer Arbeitsplatz und die Möglichkeit, Beruf und Privatleben gelungen miteinander verbinden zu können, sind der optimale Nährboden. Das ist die Alternative zu Kettenbefristungen und schlecht bezahlter oder prekärer Arbeit. Gerade darin sind zu viele, vor allem junge, Menschen, gefangen. Und dabei – welch Wunder – weit überproportional Frauen. 

 

Der Gastkommentar von Christiane Benner ist am 8. März im „Handelsblatt“ erschienen. © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. 

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