Werkverträge: zurück zur Normalität ― zurück zur IG Metall
Werkverträgler ― mittendrin und nicht dabei

Unternehmen lagern zunehmend Arbeit, die zu ihrem Kerngeschäft gehört, per Werkvertrag aus. In vielen Fällen wandert die Arbeit und mit ihr die Beschäftigten vom tarifgebundenen Betrieb in tarifvertragsfreie Zonen.

31. August 201531. 8. 2015


Für die Beschäftigten heißt das oft: Sie arbeiten Seite an Seite, haben aber nicht die gleichen Rechte und verdienen ganz unterschiedlich. Doch es gibt Gegenwehr.

Gestern waren sie Kollegen, heute sind sie Fremde. Von einem Tag auf den anderen bekamen sie andere Ausweise, durften ihre Autos nicht mehr auf dem Firmenparkplatz abstellen und mussten ein Stück entfernt in einem externen Parkhaus parken. In den Betriebskindergarten, den Tekin Yildirim als Betriebsrat mit aufgebaut hatte, durften die Beschäftigten ihre Kinder nicht mehr schicken. Eine Kollegin hatte die Zusage für einen Platz nach der Elternzeit und dann: nichts mehr. „Das klingt vielleicht nach Kleinigkeiten“, sagt Yildirim. „Aber es war ein Signal: ’Ihr gehört nicht mehr zu Daimler.’“


Logistik
Schaubild: Logistik. Schaubild: IG Metall

Werkverträge sind nicht das Problem

Tekin Yildirim ist stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei ISS Facility Services. Ein Unternehmen wie ein großer Gemischtwarenladen, das fast alles macht von Catering und Technik über interne Logistik bis zu Industriereinigung. Angefangen hat Yildirim vor 20 Jahren bei Daimler in der Produktion, später in der Logistik. 1996 gründete Daimler den Bereich aus und verkaufte ihn 2007 an ISS. Seither hat sich viel geändert, nicht nur die Ausweise. Seit 2011 gibt es keinen Tarifvertrag und keine Tariferhöhungen mehr. Urlaubs- und Weihnachtsgeld bekommen nur die Älteren, die noch unseren Tarifen unterliegen. Das Einzige was sich für Yildirim und seine Kollegen nicht geändert hat, ist die Arbeit. Sie machen immer noch die gleiche wie vor 20 Jahren.

Werkverträge gab es immer, oft auch zurecht. Niemand stellt einen Maler zu Hause fest ein, nur weil er alle fünf Jahre seine Wohnung streichen will. Auch in Unternehmen gibt es Arbeit, die nur gelegentlich anfällt oder für die es Spezialisten braucht, die es im Betrieb nicht gibt. Werkverträge sind nicht das Problem, ihr Missbrauch schon. Er beginnt dann, wenn Unternehmen Arbeit an Dienstleister vergeben, um auf dem Rücken der Beschäftigten Geld zu sparen, Sozialstandards zu senken oder Mitbestimmung zu umgehen, wenn Arbeit aus tarifgebundenen Betrieben in tariffreie Zonen abwandert.


Bedingungen müssen stimmen

Kontraktlogistiker, Unternehmen aus dem Facility Management und Entwicklungsdienstleisterinnen übernehmen per Werkvertrag inzwischen Arbeit, die zum Kerngeschäft der Hersteller gehört. In der Produktion erledigen Fremdfirmen bereits mehr als ein Drittel der Arbeit, in der Montage 28 Prozent und in Forschung, Entwicklung und Engineering fast ein Fünftel. Oft arbeiten Beschäftigte der Dienstleister Seite an Seite mit Kolleginnen der Stammbelegschaft, erledigen die gleichen Aufgaben nur zu schlechteren Bedingungen.

Auch bei der Bremer Lagerhaus Gesellschaft (BLG) im bayerischen Wackersdorf. Am Anfang stand die Entscheidung des Automobilherstellers BMW, einen Teil der Logistik auszugliedern und an eine Werkvertragsfirma, das Kontraktlogistikunternehmen BLG, zu vergeben. Der Auftrag: Autoteile für den internationalen Versand in die Montagewerke im Ausland zu verpacken. Das hatten vorher überwiegend BMW-Beschäftigte zu unseren Tarifen gemacht. Dann verpackten die Beschäftigten der BLG Wackersdorf für einen Bruchteil des Entgelts. Jürgen Scholz von der IG Metall in Regensburg hat nicht generell etwas gegen Werkverträge. „Aber die Bedingungen müssen stimmen“, sagt der Metaller.


Werkverträge sind weit verbreitet

Bei Werkvertragsfirmen stimmen sie oft nicht. BLG ist kein Einzelfall. Wieweit das Phänomen um sich greift, zeigen Beispiele, die die IG Metall an der Küste in einem Dossier zusammengestellt hat. Nicht nur Autohersteller, auch Werften, die Windkraftbranche und die Luft- und Raumfahrtindustrie vergeben Arbeit an Fremdfirmen, um Kosten zu sparen. Welche dramatischen Formen das annehmen kann, zeigt der Fall griechischer Arbeiterinnen, die wir in Rostock entdeckten. Sie hatten über Werkverträge auf Werften gearbeitet. 80 lebten in Containern. Sie hatten wochenlang kein Geld bekommen und sich von Toast und Tütensuppen ernährt. Solche Auswüchse sind die Ausnahme.


Facilitiy Management
Schaubild: Facility Management. Schaubild: IG MetallBei Werkverträgen gibt es generell vieles zu verbessern. Unser erstes Ziel: Die Arbeit im Betrieb halten. Nur wo das nicht gelingt, will sie die Konditionen für die Beschäftigten in den Werkvertragsfirmen fair gestalten, gute Arbeitsbedingungen, anständige Bezahlung und ein sicherer Arbeitsplatz. Damit repariert sie aus Sicht unseres Zweiten Vorsitzenden, Jörg Hofmann, einen Webfehler in Unternehmensstrategien, die auf kurzfristigen Profit und nicht auf die langfristige Sicherung des Know-hows von Kernkompetenzen setzen. „Die Arbeitgeber sollen nicht glauben, sie könnten durch Outsourcing widerstandlos Löhne und Arbeitsbedingungen absenken und sich der Zuständigkeit der IG Metall entziehen“, sagt Hofmann. Das Recht auf faire Arbeitsbedingungen endet für uns nicht bei den Endherstellern. Es gilt für die gesamte Wertschöpfungskette entlang ihrer Industrien. Das heißt: gleiche Rechte, Mitbestimmung und Tarifverträge für die Beschäftigten in Werkvertragsfirmen.


Mehr Geld durch Tarif

Einen Tarifvertrag mit uns zu erkämpfen, das war auch das Ziel der Beschäftigten beim Kontraktlogistiker BLG in Wackersdorf. Dafür verteilten die Betriebsräte Flugblätter, warben Mitglieder und begannen, über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Betriebsratsvorsitzender Sergio Vecchiolla erinnert sich, dass das der Geschäftsleitung gar nicht gefiel. „Da mussten wir mit unserem ersten Warnstreik ein bisschen Bewegung in die Verhandlung bringen“, schmunzelt Vecchiolla. Fast alle Beschäftigten machten mit.

Wenige Wochen und ein 14-Stunden-Verhandlungsmarathon später: endlich ein Ergebnis, endlich der Tarifvertrag, endlich mehr Geld. „Für viele bedeutet der Tarifvertrag bis zu zehn Prozent mehr Geld“, weiß Vecchiolla. Außerdem gibt es jetzt mehr Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie eine stufenweise Erhöhung der Urlaubstage auf 30 Tage.


Arbeitsbedingungen: Unterschied um Welten

Doch selbst wenn das Geld für deutlich mehr als zum Überleben reicht, die Bedingungen relativ gut sind und die Arbeit interessant ist ― fair geht es nicht immer zu. Auch die Arbeit des Ingenieurdienstleisters MBtech für Daimler gilt als Werkvertrag. Bei den Arbeitsbedingungen trennen die Entwickler aber Universen von griechischen Arbeitern und immer noch Welten von den Kontraktlogistikerinnen. Früher war es für Sven Dittmar kein Thema, ob er Daimlermann oder Werkvertragler war. Als der Informatiker vor elf Jahren bei MBtech anfing, verdiente er nur unwesentlich weniger als die Daimler-Kollegen. Es ging ihm gut. Aber irgendwann verglich er. „Bei Daimler wurde die Arbeitszeit erfasst. Wir hatten Vertrauensarbeitszeit. Die Daimler-Kollegen bekamen am Wochenende Zuschläge. Wir nicht.“ Die Unzufriedenheit wuchs, als Einkommensunterschiede größer wurden. „Wer neu anfing, bekam 10, 15 oder auch 20 Prozent weniger“, erzählt Dittmar. „Gehaltserhöhungen gab es nach Nase, nicht nach Tarif.“ Immer mehr fragten sich, warum sie weniger als andere verdienten, obwohl sie doch die gleiche Arbeit machten.
IndustrieServices
Schaubild: IndustrieServices. Schaubild: IG Metall
2009 wählten die MBtech-Beschäftigten zum ersten Mal einen Betriebsrat. Seine erste Tat: Arbeitszeit wird seither erfasst. „Aber der Hammer war, als wir vor eineinhalb Jahren einen Tarifvertrag bekommen haben. Jetzt wird die Flächentariferhöhung für alle Kollegen angewandt“, sagt Dittmar, der damals Vorsitzender des Betriebsrats war. Inzwischen arbeitet er wieder als Projektleiter und nur noch zeitweise im Betriebsrat. „Ich bin eben auch gern Informatiker“, sagt Dittmar.


Stärker mit Betriebsrat

Am Anfang glaubte Andreas Engel, dass er niemanden braucht, keinen Betriebsrat und keine Gewerkschaft. Der 53-Jährige hatte Physik studiert und als Ingenieur Erfahrungen gesammelt. Jetzt hatte er einen guten Job bei Elan-Ausy in Hamburg, einem Ingenieursdienstleister. Rund 180 Menschen arbeiteten hier hauptsächlich Aufträge von Airbus ab. Was sollte schon groß passieren, dachte Andreas Engel. Das war 2006. Mittlerweile weiß Engel, was alles passieren kann. Er weiß, dass es Situationen gibt, in denen man Verbündete braucht. 2009 fing es an, Airbus vergab weniger Aufträge ― und dann, ehe sich die Belegschaft sortieren konnte, machten sie Kurzarbeit. „Plötzlich war uns klar, dass es ungemütlich wird“, sagt Engel.
2009 gründeten sie bei Elan-Ausy einen Betriebsrat; seit zwei Jahren ist Engel Betriebsratsvorsitzender. Die Reaktionen vieler Kollegen blieben allerdings weiter verhalten. „Die meisten sind überzeugt, dass beruflicher Erfolg zuallererst von ihnen abhängt“, sagt Engel, „es war für sie unvorstellbar, ausgemustert zu werden.“


Forschung und Entwicklung
Schaubild: Forschung und Entwicklung. Schaubild: IG MetallGenau das geschah im vergangenen Jahr. Airbus hatte seine Aufträge immer weiter zurückgefahren, Engels Betrieb, der auf rund 400 Beschäftigte gewachsen war, entschloss sich zu einem drastischen Schritt. Es gab betriebsbedingte Kündigungen. „Rund 80 Kolleginnen und Kollegen wurden entlassen“, sagt Engel. „Für alle war das ein riesiger Schock.“ Seitdem, das spürt Engel, hat sich die Stimmung gedreht. Kollegen, die vorher von Betriebsratsarbeit nichts wissen wollten, sind nun aufgeschlossen und interessiert. „Viele haben ihr Grundvertrauen verloren“, sagt Engel, „den Glauben daran, dass sie alles allein meistern können.“ Das bedeute nicht, dass die Kollegen ihm die Tür einrennen, dass er einen Mitgliedsantrag nach dem anderen verteilt. „Es ist weiterhin viel Überzeugungsarbeit notwendig“, sagt Engel. „Aber wir erreichen die Kollegen jetzt besser.“


Tarifflucht: Gesetzgeber ist gefordert

Ob bei Entwicklern, Kontraktlogistikern oder im Facility Management ― wenn sich Beschäftigte organisieren, einen Betriebsrat wählen, verbessern sie vieles im Betrieb. Auf der anderen Seite stemmen wir uns dagegen, Arbeit aus tarifgebunden Betrieben in tariffreie Zonen abwandern zu lassen. Mit Erfolg: Insgesamt haben wir schon 30 Ergänzungstarifverträge abgeschlossen, die vor Ausgliederung schützen. Die Missstände grundsätzlich abstellen kann aber nur der Gesetzgeber. „Wir erwarten, dass die Bundesregierung der beliebigen Abspaltung von Belegschaftsteilen in schlechter bezahlte Arbeitsverhältnisse ohne Tarifvertrag und Betriebsrat einen Riegel vorschiebt“, sagt Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall.

ISS-Betriebsrat Tekin Yildirim kämpft derweil um einen Haustarifvertrag. Im Moment ist es schwierig. Ende 2016 läuft der Vertrag mit Daimler aus und der Auftrag wird ausgeschrieben. „In diesem Geschäft unterbieten sich die Firmen gegenseitig“, sagt Yildirim. Wenn er sich etwas wünschen könnte, dann, dass Aufträge nur an Betriebe mit Tarifvertrag vergeben werden dürfen.

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