Metall-Tarifrunde 2015: Interview mit Jörg Hofmann
Der hohe Einsatz hat sich gelohnt

3,4 Prozent mehr Geld plus Einmalzahlung, Einstieg in die Bildungsteilzeit und eine verbesserte Altersteilzeit – das Tarifergebnis in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg ist bundesweit übernommen worden. Ein Interview mit Jörg Hofmann, dem ersten Vorsitzenden der IG Metall.

5. März 20155. 3. 2015


Jörg, der Pilotabschluss von Böblingen ist inzwischen bundesweit übernommen worden. Bist du mit dem Tarifergebnis zufrieden?

Jörg Hofmann: Ja, das bin ich. Wir haben sowohl beim Entgelt als auch bei der Altersteilzeit und der Bildungsteilzeit gute Verhandlungsergebnisse erzielt. Zu Beginn der Tarifbewegung war ich nicht sicher, dass wir in allen drei Punkten solche substanziellen Erfolge erreichen werden.

Lange sah es so aus, als wären die Arbeitgeber nicht bereit, eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden. Warum haben sie doch eingelenkt?

Die Arbeitgeber haben eingesehen, dass es die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben mit ihren Forderungen ernst meinen und dass die IG Metall bei einem Scheitern der Verhandlungen auch streikfähig gewesen wäre. Das zeigt, dass sich der hohe Einsatz der über 870 000 Warnstreikenden gelohnt hat. Sie haben den Arbeitgebern Druck gemacht. Sie haben damit sehr eindrucksvoll demonstriert, dass unsere Forderungen in den Belegschaften verankert sind und sie sind auch bereit, dafür einzutreten.

Wie kommt das Gesamtergebnis bei den Kolleginnen und Kollegen an?

Das Paket wird bundesweit ausgesprochen positiv aufgenommen. In vielen Tarifkommissionssitzungen ist das Ergebnis einstimmig angenommen worden. Auch das, was ich selbst im Gespräch mit Vertrauensleuten und Betriebsräten höre, ist vor allem Lob und Zustimmung.

Die Arbeitgeber sagen, sie wären mit der Lohnerhöhung an ihre Schmerzgrenze gegangen. Überfordert die IG Metall die Unternehmen?

Nein, die 3,4 Prozent plus Einmalzahlung überfordern die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie nicht. Wir haben ein vernünftiges Ergebnis. Gerade die Exportindustrie verdient glänzend dank niedriger Importpreise und guter Währungsgewinne im Export. Aktuelle Prognosen gehen von einem robusten wirtschaftlichen Wachstumspfad aus, der wesentlich durch die stabile Binnennachfrage gestützt wird. Das ordentliche Plus für unsere Kolleginnen und Kollegen ist also keine Bedrohung für die Wirtschaft. Im Gegenteil: Wenn die Beschäftigten mehr Geld in der Tasche für den privaten Konsum haben, dann ist das ein guter zusätzlicher Impuls für Wachstum und Beschäftigung.

Anspruch auf Altersteilzeit haben wie bisher bis zu vier Prozent der Belegschaft. Was ist künftig anders und besser?

Zunächst mussten wir die Altersteilzeit an die veränderten Rentengesetze anpassen. Und sie auch über ein neues Finanzierungsmodell als tarifliche Grundlage für flexible Altersübergänge langfristig absichern. Das ist uns gelungen. Für die Beschäftigten wollten wir im Kern drei Punkte verbessern: Erstens höhere Aufstockungsbeträge für die unteren Entgeltgruppen. Das haben wir erreicht. Zum Zweiten wollten wir Wahlmöglichkeiten für Schichtarbeiterinnen und -arbeiter schaffen. Sie sollten nicht wie bisher zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihre Altersteilzeit beenden müssen, sondern auch abschlagsfrei in Rente gehen können. Diese Option gibt es jetzt. Drittens wollten wir den Kreis derjenigen erweitern, deren Arbeitsplätze als besonders belastend definiert sind. Damit sollten mehr Beschäftigte Vorrang beim Anspruch auf Altersteilzeit haben. Das ist uns teilweise gelungen: Künftig müssen weniger Jahre Schichtarbeit erbracht werden. Die Definition der belastenden Tätigkeiten konnten wir darüber hinaus aber nicht erweitern.

Bei der Forderung nach Zeit und Geld für die persönliche Weiterbildung haben die Arbeitgeber lange Zeit gemauert. Als Kompromiss steht nun der Einstieg in die Bildungsteilzeit. Was bringt der den Beschäftigten?

Sie haben nun erstmals bundesweit einen durchsetzbaren Anspruch auf eine bis zu 7-jährige Bildungsteilzeit; verblockt oder unverblockt. Danach besteht der Anspruch auf einen gleich- oder höherwertigen Vollzeitarbeitsplatz. Das gilt auch für unbefristet übernommene Azubis direkt nach der Ausbildung. Das ist schon einmal ein großer Fortschritt in Sachen Zeit für Bildung.

Und beim Geld für Bildung?

Hier sind wir erste Schritte hin zu einer geförderten Bildungsteilzeit gegangen. Betriebsrat und Arbeitgeber können vereinbaren, dass ein Teil des für Altersteilzeit bereitgestellten Geldes für Bildungsteilzeit genutzt wird. Setzt ein Arbeitgeber die Altersteilzeitquote von sich aus unterhalb von vier Prozent an, ist er verpflichtet, dadurch frei werdende Mittel zur Finanzierung von Angeboten in Richtung Bildungsteilzeit zu nutzen. Einen festen Anspruch der Beschäftigten auf Aufstockungsleistungen vom Arbeitgeber während der Bildungsteilzeit konnten wir aber nicht in dem Umfang erreichen, wie wir uns das vorgestellt hatten.

Ist das Thema Bildung jetzt tarifpolitisch erst einmal abgehakt?

Jetzt sind wir erst einmal gefordert, unsere guten Ergebnisse in der Alters- und Bildungsteilzeit so umzusetzen, dass sie nicht nur auf dem Papier schön aussehen, sondern auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen im Betrieb ankommen.

Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde: Wie geht es tarifpolitisch für die IG Metall weiter?

Unsere Beschäftigtenbefragung von 2013 hat ergeben, dass das Thema Arbeitszeit für die Beschäftigten ein ganz zentrales ist. Daraus haben wir im ersten Schritt die Forderungen zur Altersteilzeit und Bildungsteilzeit abgeleitet. Das Thema lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle wird uns auf absehbare Zeit sicher weiter beschäftigten. Aber auch die Frage ausufernder Arbeitszeiten, auch weil der Leistungsdruck zunimmt. Gesamtmetall und IG Metall haben sich verpflichtet zu diesen Arbeitszeitfragen Gespräche zu führen.
Was uns im Frühjahr 2016 ebenfalls beschäftigen könnte, sind die Themen Leiharbeit und Werkverträge. Sollte die Bundesregierung – wie angekündigt – in diesem Jahr neue gesetzliche Regelungen verabschieden, gilt für unsere Verträge zur Leiharbeit das gleiche wie bei der Altersteilzeit: Ändern sich die Gesetze, müssen die Tarifverträge innerhalb von 6 Monaten neu verhandelt werden.

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